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Ein süßer Sommer

Ein süßer Sommer

Titel: Ein süßer Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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überfordert.
    «Was hältst du von einem Stadtbummel? Wir könnten irgendwo gemütlich zu Abend essen», schlug ich vor, obwohl es mich normalerweise an einem Samstagabend nie in die Stadt zog. Aber nochmal Ravioli oder Thunfischsalat mit Mais und Zwiebeln musste auch nicht sein. Sie betrachtete voller Skepsis und Nachdenklichkeit das kleine Buch und die lose über den Tisch verteilten Seiten. Von der Tür aus erkannte ich nicht viel mehr, als dass sie mit unterschiedlich langen handschriftlichen Texten gefüllt waren. Dann erwachte das Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie raffte sämtliche Seiten zusammen, faltete sie einmal und schob sie ins Buch. Es war ein ledergebundenes Büchlein, viel mehr ließ sich mit einem kurzen Blick nicht feststellen, weil sie es sich rasch unter einen Arm klemmte. Ich meinte, auf dem Buchrücken eine kleine Goldprägung zu erkennen. Gekreuzte Palmwedel oder gefaltete Hände. Der flüchtige Eindruck ließ mich unwillkürlich an eine Bibel oder ein Gebetbuch denken. Candy huschte an mir vorbei ins Schlafzimmer, versenkte das Büchlein in ihrer Reisetasche, nahm den Gürtel mit ihrem Vermögen heraus, um einen Geldschein im roten Handtäschchen mit auf den Stadtbummel zu nehmen. Das tat sie bei offener Tür, ich sollte wohl sehen, dass ich sie nicht zum Essen einladen müsste. 
    Sie schloss die Schlafzimmertür erst, um die eine verwaschene Jeans gegen eine andere und das T-Shirt gegen ein frisches zu tauschen. Ich zog mich anschließend ebenfalls um und sah bei dieser Gelegenheit, dass die Reisetasche nicht mehr mit dem winzigen Vorhängeschloss gesichert war. Es war nur lose in einen der Metallringe eingehängt, das Schlüsselchen steckte. Ein weitere Beweis für ihre Vertrauensseligkeit, es steckte doch ein hübscher Batzen Geld in dem Gürtel. Aber davon hatte ich selbst ausreichend für meinen Bedarf. Die ins Büchlein gelegten Seiten interessierten mich mehr, weil mir kein plausibler Grund einfiel, aus einer Bibel oder einem Gebetbuch etwas abzuschreiben. Ich gebe zu, es juckte mich in den Fingern, meine berufliche Neugier an ihrem Eigentum zu befriedigen. Doch ich tat es nicht, weil ich – nun ja, ich war eben nur beruflich ein Schnüffler. Wir fuhren in die Innenstadt, aßen in einem Steakhaus. Beim Essen erzählte sie wieder, nicht mehr ganz so unbeschwert wie im Zug, aber immer noch lässig genug. Es wechselte in schneller Folge zwischen meiner Mutter und Mami, Tante Gertrud, Margarete und Helga. Hätte mir da etwas auffallen müssen? Was denn? Tante Gertrud, das klang nach Gesetztheit, Weisheit und Alter. Margarete, ebenfalls eine Tante, aber in den Staaten nahm man es vermutlich lockerer und verzichtete auf die steife Anrede. Und wenn Margarete von früher erzählte, nannte sie ihre jüngste Schwester eben beim Vornamen, sodass auch Candy in diesem Zusammenhang von Helga sprach. Mami, das waren Liebe und Fürsorge. Meine Mutter, und Candy bekam glänzende Augen. Während des Essens – natürlich zahlte sie selbst –, während der Heimfahrt, anschließend noch eine halbe Stunde lang im Wohnzimmer, plapperte sie unentwegt. Um Mitternacht zog ich die kleine Couch für sie aus, holte das Bettzeug, das ich tagsüber wieder in der Truhe im Schlafzimmer deponiert hatte. Dann ging ich ins Bad. Als ich zurück in die Diele kam, saß sie noch vollständig bekleidet auf der größeren Couch, die der Dielentür gegenüberstand. Das Fotoalbum hielt sie im Schoß. Das rote Nachthemd lag neben ihr, das ledergebundene Büchlein mit den eingesteckten Seiten auf dem Beistelltisch neben dem Telefon. Sie lächelte und wünschte:
    «Schlaf gut, Mike.»
    «Mach ich», sagte ich.
    «Du auch.» Sie nickte. Und ich dachte, dass sie vielleicht nach so vielen Worten noch einen Blick auf Helga werfen müsste, um einschlafen zu können. Das Licht im Wohnzimmer brannte noch eine Weile. Ich sah es durch den Türspalt. Ihren Familiennamen kannte ich inzwischen, den hatte sie mir beim Essen verraten. Schmitt, schlicht und einfach Schmitt. Helga hatte zwar in den Staaten, aber dennoch einen Landsmann geheiratet. Und die Ehe mit Dad war durchaus glücklich, war sie immer gewesen, trotz oder gerade wegen der regelmäßigen, langen Trennungszeiten, in denen Mami vielleicht manchmal einsam gewesen war. Aber wenn man sich monatelang nicht sah, nur über Funk von der Sehnsucht erzählen durfte, das hielt die Liebe frisch. Doch Mami und Dad waren einander auch in Hamburg, wo sie nun schon seit zwei Jahren Tag und

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