Eine Braut zu Weihnachten
nicht verheiratet sein muss, um glücklich zu sein, aber ich weiß auch, dass allein zu sein etwas Schreckliches ist. Etwas, was ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen würde.«
»Sind Sie einsam?«, fragte Veronica spontan.
»Oje, du bist aber direkt!« Helena lächelte. »Hin und wieder bin ich es wahrscheinlich schon. Aber ich habe Pläne für die Zeit, wenn alle gut versorgt und unter der Haube sind.«
Veronicas Augenbrauen schossen in die Höhe. »Oh?«
»Oh ja«, erwiderte Helena schmunzelnd. »Sie drehen sich darum, unabhängig zu sein und tun zu können, was ich will. Denn das habe ich noch nie gekonnt, weißt du.«
»Verstehe.«
»Wahrscheinlich klingt es ziemlich egoistisch, aber wenn man den größten Teil seines Lebens hinter statt vor sich hat, hat man sich das Recht verdient, ein bisschen selbstsüchtig zu sein, finde ich.« Sie betrachtete Veronica einen Moment lang prüfend. »Ich weiß nicht, was ich mehr beneide: die Tatsache, dass du eine solche Unabhängigkeit gehabt hast oder dass du jetzt nicht mehr allein bist.«
»Es ist wie eine Art Geschäft, nicht wahr?«, sagte Veronica versonnen. »Man muss einfach nur entscheiden, was man mehr will. Was einem wichtiger ist.« Sie schüttelte den Kopf. »Und Unabhängigkeit hat einen hohen Preis.«
»Wie die Liebe.« Helena lächelte. »Aber findest du nicht auch, dass sie es wert ist?«
Veronica nickte. »Absolut.«
»Was meine Pläne angeht, so sind sie sehr … speziell. Du würdest sie zweifellos für albern halten. Wenn mir danach zumute ist, werde ich sie dir eines Tages vielleicht anvertrauen, aber jetzt noch nicht. Hast du schon einmal ein Geheimnis gehabt, Veronica?«
»Ein Geheimnis?« Veronica starrte die Gräfinnenwitwe an. »Ich denke schon, dass ich das eine oder andere Mal eins hatte. Ich wage zu behaupten, dass wir alle manchmal Geheimnisse haben. Aber warum fragen Sie?«
Helenas Blick glitt zurück zu ihren Kindern. »Sie alle haben Geheimnisse der einen oder anderen Art. Bei einigen habe ich meine Vermutungen, und bei anderen werde ich es wohl nie erfahren. Mein Geheimnis sind meine Pläne. Vielleicht nicht mein größtes oder wichtigstes, aber das Einzige, das ich noch nie mit jemandem geteilt habe. Und ebendeswegen sollte niemand allein durchs Leben gehen. Man braucht jemanden, dem man blindlings anvertrauen kann, was für beide äußerst wichtig ist.« Sie lächelte. »Und das, meine liebe Veronica, ist das größte Geschenk von allen.«
Kapitel Einundzwanzig
E s klopfte an der Tür zwischen ihrem und Sebastians Zimmer. Endlich. Sie hatte sich schon gefragt, ob er und die anderen männlichen Mitglieder der Familie bis zum Morgengrauen reden würden.
Die ganze Familie hatte sich am Schmücken des Baums beteiligt. Die Kinder hängten ihre Girlanden und Spielzeuge an die unteren Zweige. Auch von der Köchin hergestellte Süßigkeiten und Lebkuchenmännchen wurden aufgehängt, von denen allerdings erheblich weniger am Baum zu landen schienen, als zur Verfügung standen. Veronica bemerkte, dass nicht all die verräterischen Lebkuchenkrümel von den jüngsten Mitgliedern der Familie stammten. Nachdem der Christbaumschmuck, den sie und Sebastians Schwestern mitgebracht hatten, aufgehängt war, wurden unter Scherzen über einen früheren Weihnachtsbaumbrand sehr sorgfältig die Kerzen zwischen den Zweigen verteilt.
Der Julblock, der fast ebenso viele Debatten zwischen Sebastian und seinen Brüdern ausgelöst hatte wie der Baum, war in dem mächtigen Kamin im Saal angezündet worden und würde bis zum Dreikönigstag brennen. Die Hadley-Attwaters pflegten viele alte Bräuche, die Veronicas eigene Familie nie beachtet hatte, und trotzdem hatten ihr Vater, ihre Tante und Großmutter es sich nicht nehmen lassen, an allem teilzunehmen. Alle Tätigkeiten wurden vom Singen von Weihnachtsliedern begleitet, ob diese nun kindlich, gefühlvoll oder klassisch waren. Dianas Kinder hatten darauf bestanden, Pasteten mit Dörrobst- und Sirupfüllung und Brandy für den Weihnachtsmann und eine Karotte für sein Rentier hinzustellen, bevor sie zu Bett gebracht wurden.
Alles in allem war es ein wundervoller Tag gewesen. Veronica lächelte und hielt den Blick auf das Buch in ihren Händen gerichtet, als sie in unverbindlichem Tonfall sagte: »Komm herein.«
Sie hörte, wie Sebastian ins Zimmer kam und stehen blieb. »Ist das eines meiner Bücher?«
»Das zweite, glaube ich.«
»Ich dachte, du hättest sie schon alle gelesen.«
»Hab ich
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