Eine ganz andere Geschichte
alles in der Welt war das für ein pervertierter Kerl, mit dem man es da zu tun hatte?
Inspektor Barbarotti biss von einer Wurst ab, gab sich alle Mühe und schob die Fragen beiseite. Hier sitze ich auf einer Parkbank und esse mein Samstagabendessen, dachte er stattdessen. Würstchen mit Kartoffelbrei. So weit ist es in meinem siebenundvierzigjährigen Leben nun gekommen.
Nun ja, es war schließlich auch ein schöner Abend, und es schmeckte gar nicht so schlecht. Und dann wanderten seine Gedanken zu Marianne, das ergab sich fast automatisch, sobald er ihnen Raum dafür ließ. Sie flogen in seinem benommenen Kopf heran wie eine Friedens- und Liebestaube von einem ganz fremden Kontinent. Ein ganzer Schwarm an Tauben, wenn man es recht besah. Sie schwärmten aus und erfüllten ihn bis in den kleinsten Winkel. Merkwürdiges Bild, aber so stand es nun einmal momentan um den Zustand seiner Seele. Er schüttelte den Kopf, um die Vögel loszuwerden. Wenn wir erst einmal verheiratet sind, stellte er stattdessen fest, dann werde ich nie mehr in meinem Leben auf einer Parkbank sitzen und Würstchen essen.
Denn so wird es doch sein? Wir werden doch wohl zusammenkommen?
Vielleicht ist es sogar jetzt das letzte Mal, dass ich es tue?, dachte er dann und schluckte Zweifel und den letzten Wurstzipfel zusammen hinunter. Das allerletzte Mal?
Er kratzte noch den Rest des Kartoffelbreis und der Mayonnaise zusammen, zerknüllte dann die Pappe und drückte sie in einen Papier korb. Spürte, dass er von seiner Mahlzeit durstig geworden war, und er beschloss, noch ein Bier im Älgen zu trinken, bevor er nach Hause ging.
Wenn er sowieso schon draußen und unterwegs war.
Es wurden drei Bier.
Das hatte seine Gründe. Zwei seiner alten Schulfreunde, Sigurd Sollen und Viktor Emanuelsson, waren beide Strohwitwer und unterwegs, um sich einen schönen Abend zu machen. Wie es so hieß. Sobald sie Barbarotti erblickten, bestanden sie darauf, dass er sich an ihrem Tisch niederließ und mit ihnen eine Weile über die alten Lehrer herzog. Falls sie selbst inzwischen einiges vergessen hätten.
Das dauerte gut eine Stunde, dann wurde Sigurd Sollen langsam etwas verwaschen und meinte, sie sollten lieber über das Mordrätsel des Jahrzehnts reden. Er hatte so einige Tipps und Ideen, die er beitragen könne. Und außerdem einige Fragen.
Barbarotti trank seinen letzten Schluck Bier für den Abend und erklärte, dass beide, Sollen wie auch Emanuelsson, jedes Detail serviert bekämen im zweiten Teil seiner Memoiren – Das Leben eines Bullen im Rückblick –, das laut Planung irgendwann im Zusammenhang mit der Buchmesse in Göteborg 2023 herauskommen sollte.
Plus minus ein paar Jahre.
»Schieh mal einer an«, nuschelte Sollen. »Bischt du jetscht rotschnäschig geworden?«
»Rotznäsig?«, fragte Emanuelsson.
»Ich habe hochnäschig geschagt«, behauptete Sollen.
»Bist du besoffen?«, fragte Emanuelsson verwundert, aber da hatte Gunnar Barbarotti bereits ihren Tisch verlassen.
Als er seine Wohnung betrat, war es schon zehn Minuten vor elf, was Inspektor Barbarotti gar nicht bewusst war, da er immer noch – aus welchen Gründen auch immer – die kaputte Ewigkeitsuhr aus Hallsberg ums Handgelenk trug.
Aber er sah ein, dass er seit Freitagmorgen nicht mehr zu Hause gewesen war – was genau betrachtet der gestrige Tag gewesen war, als er sich nur kurz umgezogen hatte, bevor er mit Backman und Astor Nils-son nach Närke gefahren war.
Er sah außerdem ein, dass es genau diese Kleidung war, die er immer noch trug, und dass er im Augenblick ganz gut auf eine Parkbank passte. Wenn man es genau betrachtete.
Die Post vom Freitag lag auf dem Flurfußboden, und er beschloss, sie auf dem Weg zur Dusche aufzuheben.
Drei Rechnungen, ein Prämienkupon von Statoil und ein dicker, brauner Umschlag in A4-Format, das war alles. Den großen Umschlag hob er sich bis zuletzt auf.
Sein Name und seine Adresse waren mit steilen, etwas unbeholfenen Versalien geschrieben. Schwarze Tinte. Eine Reihe von Briefmarken ausländischer Herkunft klebte ganz oben an der Längsseite. Es dauerte eine Weile, bevor er den Absendeort erkennen konnte.
Kairo.
Kairo?, dachte Gunnar Barbarotti. Was zum Teufel hat das zu bedeuten? Er erinnerte sich, dass Ägypten heute schon einmal Thema gewesen war, konnte sich aber nicht mehr an den Zusammenhang erinnern. Der Datumstempel war klar und deutlich. 14.08.07.
Vor vier Tagen. Er holte ein Brotmesser heraus. Setzte sich an den
Weitere Kostenlose Bücher