Eine Geschichte von Liebe und Feuer
sie war geradezu bestürzt von der Vorstellung. Die Frauen im Atelier hatten sich ihr gegenüber zwar anders verhalten, als sie erfuhren, dass sie den Chef heiraten würde, aber sie sehnte sich trotzdem an ihren Platz in der Schneiderwerkstatt zurück.
An diesem Morgen inspizierte sie nun zum ersten Mal ihre neue Umgebung. Im Erdgeschoss gab es neben Küche und Esszimmer zwei groÃe Räume. Einer war der Salon, der andere das Arbeitszimmer ihres Mannes. Es wurde von einem groÃen Schreibtisch und einem Bücherregal beherrscht, in dem alphabetisch geordnet die Werke antiker Philosophen standen. Vorsichtig nahm sie eines der Bücher heraus, und als sie es aufschlug, spürte sie sofort, dass es noch nie geöffnet worden war. Ein Buch stand separat, und sie entzifferte einen deutschen Titel: Also sprach Zarathustra.
Sie konnte nicht widerstehen, es aufzuschlagen. Sie wusste, dass ihr Mann ein bisschen Deutsch sprach, aber sicher nicht ausreichend, um flieÃend zu lesen. Auf der Titelseite stand eine Widmung: »Für Grigoris Gourgouris. Vielen Dank, Hans Schmidt. 14. 6. 43«
Schnell klappte sie es wieder zu. Gourgouris hatte also einen deutschen Besatzer zu seinen Freunden gezählt. Sie stellte das Buch angewidert aufs Regal zurück und beschloss zu vergessen, dass sie es überhaupt gesehen hatte.
Jeder Raum hatte den gleichen dunklen Linoleumboden, cremefarbene Prägetapeten an den Wänden, und die Türen, Bodenleisten, Bilder- und Fensterrahmen sowie die stets geschlossenen Läden waren ohne Ausnahme braun gestrichen.
Auf dem Boden lagen ein paar Teppiche, und in jedem Raum hingen ein oder zwei Landschaftsgemälde. Die Möbel waren gröÃtenteils neu, und die Polstergarnituren sahen aus, als hätte noch nie jemand darauf gesessen. Der lange Esstisch mit acht Stühlen und einem Leuchter in der Mitte zeigte nicht den geringsten Kratzer, und die dazu passende Vitrine war leer. Darauf stand eine riesige Kristallvase ohne Blumen.
Katerina begann, ein paar Sachen auszupacken, und stellte eine Ikone, das Hochzeitsgeschenk von Eugenia, auf das leere Regal im Salon. Sie wirkte verloren und fehl am Platz in diesem seelenlosen Haus. Katerina beschloss, das Foto von Eugenia nicht auf die Vitrine zu stellen. Gemeinsam mit dem Bild von Dimitri würde es in der kleinen Schachtel mit persönlichen Wertgegenständen bleiben, die sie am Boden ihres Kleiderschranks verstaut hatte.
Die Küche war mit einem modernen Herd ausgestattet, und als sie in die Schränke blickte, entdeckte sie ganze Stapel von Aluminiumtöpfen und Eisenpfannen. Es war so ganz anders als in der IrinistraÃe.
Die Fensterläden hatten aber leider nicht nur Licht und Sonne ausgesperrt, sondern auch keine Luft hereingelassen, sodass es in jedem Raum unangenehm muffig und verstaubt roch.
Katerina hätte gern alle Fenster und Türen weit aufgerissen und die Vasen mit frischen Blumen gefüllt, aber sie wagte es nicht, weil sie annahm, dass ihr Ehemann es nicht gutheiÃen würde.
Ãberhaupt war die Geräumigkeit des Hauses kein Vorteil, sondern eher ungemütlich. Es war viel zu groà für zwei Leute, und die bunten Teppiche, Decken und bestickten Kissen, die sie aus der IrinistraÃe mitgebracht hatte, wirkten hier seltsam fehl am Platz.
Oben im ehelichen Schlafzimmer stand ein riesiger, komplett leerer Schrank, in den Katerina ein paar Kleidungsstücke hängte. Gemessen an ihrem Beruf besaà sie nicht viel Garderobe, und ihr Mann hatte sie bereits angewiesen, sich in den nächsten Monaten ein paar neue Kleider zu nähen.
»Mein kleines Mädchen soll doch hübsch aussehen!«, sagte er eines Morgens und tätschelte dabei ihr Hinterteil. »Also musst du dich an die Arbeit machen und dir ein paar Sachen schneidern. Du hast jetzt doch deine Nähmaschine, oder?«
Die Singer-Maschine, die sie vor ein paar Jahren von Konstantinos Komninos bekommen hatte, war am Tag zuvor aus der IrinistraÃe gebracht worden und stand im Esszimmer am Boden.
Am Abend brachte Gourgouris ein paar Stoffe mit nach Hause: einen aus blassrosa Baumwolle, einen gelben mit roten Rosenzweigen und einen mit mintgrünen Streifen. Sie entsprachen zwar nicht Katerinas Geschmack, aber sie nahm an, dass dies ein Teil ihrer neuen Aufgabe als Ehefrau war: sich so zu kleiden, wie ihr Gatte es wünschte.
Das Hausmädchen, das früher auch für die Küche zuständig
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