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Eine Katze hinter den Kulissen

Titel: Eine Katze hinter den Kulissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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total
überwältigt. Es war buchstäblich das Schönste, was
ich je gesehen habe. Ich schaute zu, und mir wurde klar, daß das
die absolute Definition von Schönheit war. Die Musik. Die
Choreographie. Das Bühnenbild. Die ganze Mischung. Und
während ich dieses großartige Schauspiel betrachtete, habe
ich angefangen, mich selbst zu hassen. Weil ich zugeben mußte,
daß ich nie im Leben, unter welchen Umständen auch immer,
auch nur annähernd die Intensität und das Ausmaß dessen
erreichen würde, was sich da auf der Bühne abspielte. Es hat
mich zutiefst deprimiert. Wie ich schon sagte, ich haßte mich
selbst. Deshalb bin ich nie wieder ins Ballett gegangen.«
    Wie die meisten von Tonys Ausführungen war auch
dies ein wenig übertrieben. Und wie alle seine Erklärungen
enthielt auch diese ein glänzendes Körnchen Wahrheit -
vielleicht.
    Wir waren beide völlig ausgehungert, und als das
Essen kam, fielen wir geradezu darüber her und verzehrten es in
friedlicher, genießerischer Stille. Alles war ganz ausgezeichnet.
Wir tunkten die Saucenreste von unseren Tellern mit Brocken von (sehr
originellem) Sauerteigbrot mit Leinsamen auf. Ja, es war ausgezeichnet,
wie wir etwas widerwillig feststellen mußten, sogar die
Stühle und der Tisch und die gedämpften
Georgina-O’Keefe-Farben, sogar die indirekte Beleuchtung, die ich
normalerweise nicht leiden kann. Es war alles exquisit und
sündhaft teuer.
    Als wir den Nachtisch aufgegessen hatten - ich konnte
den gebratenen Bananen nicht widerstehen, Tony nahm ein mexikanisches
Bananensouffle, und wir tauschten nach der Hälfte -, bestellten
wir Kaffee und Cognac. Wir lehnten uns zurück, beobachteten die
anderen Gäste und sogen die Atmosphäre auf, denn uns war
beiden klar, daß wir nie wieder hier essen würden.
    Jetzt waren ernste Angelegenheiten zu besprechen. Ich
erklärte ihm, was wir als nächstes tun würden.
»Ich möchte, daß du morgen in die Bibliothek für
darstellende Künste gehst. Und ich gehe in die
Mid-Manhattan-Library. Was ich brauche, ist die Biographie von Peter
Dobrynin.«
    »Glaubst du, jemand hat eine geschrieben?«
    »Nein, nein, ich meine, daß wir sie
rekonstruieren müssen. In der Mid-Manhattan-Library gibt es
sämtliche Ausgaben der New York Times auf
Mikrofilm und dazu alle Nachrichtenmagazine. Du schaust alle alten
Ausgaben sämtlicher Tanzzeitschriften durch. Wir brauchen jede
noch so kleine Information, die uns dabei helfen kann, den Verblichenen
mit Leben zu erfüllen.«
    »Ich habe verstanden, Alice. Lern den Menschen
kennen, bevor du die Rolle spielst. Mit anderen Worten, bereite dich
vor.«
    »Genau. Und morgen abend treffen wir uns in
diesem Laden auf der Seventy-second Street. Du weißt schon, in
der Nähe von West End.«
    »Okay. Gegen sieben?«
    Die Rechnung kam. Unwillkürlich stieß ich einen kleinen Schrei aus. Dann mußte ich niesen.
    Ich verbrachte sieben anstrengende Stunden in der
Bibliothek, bewaffnet mit einem großen gelben Block und drei
Kugelschreibern in unterschiedlichen Farben. Es gab Hunderte von
Verweisen auf Dobrynin in den verschiedenen Karteien. Ich hatte auch
nichts anderes erwartete. Er war schließlich einmal im wahrsten
Sinne des Wortes ein Star gewesen. Aber Informationen über sein
Leben - abgesehen von den Rollen, die er getanzt hatte, den Partys, auf
denen er gewesen war, und den Frauen, die er flachgelegt hatte oder mit
denen er gesehen worden war - gab es nur wenige.
    Als ich im All-State Café eintraf,
war Tony schon da. Er saß an einem Tisch, nicht an der Bar, und
er machte einen aufgebrachten, aber völlig erschöpften
Eindruck.
    »Und, machen die Recherchen Spaß, Mr.
Basillio?« fragte ich, setzte mich neben ihn und bestellte bei
der Kellnerin eine Bloody Mary ohne Eis.
    »Schwedenmädel«, sagte er mit
glänzenden Augen, »diese Tanzkritiker sind total bescheuert.
Die schreiben völlig überkandideltes Zeug. Weißt du,
was ich meine? Dagegen lesen sich Theaterkritiken wie die Werke von
Minimalisten. Hör dir bloß diesen unsinnigen Mist an, dieses
Gelaber. Es ist eine Beschreibung Dobrynins von einem Kritiker, der
einen seiner ersten Auftritte in Schwanensee gesehen hat. Hör zu! «
    Er klappte seinen Block auf und las mit spöttischer Stentorstimme:
    »Dohrynin war eine Offenbarung. Die
anderen männlichen Tänzer wirkten angestrengt und
verwechselten offenbar Ausdruckskraft mit Aufdringlichkeit. Der
begnadete Dobrynin dagegen übertraf sie alle, glitt durch lange,
präzise und ungeheuer virtuose

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