Eine Liebe auf Korfu
gegenüber. Nun sollte ihre Tante sehen, wie gut sie sich benahmen. Mit großen Augen sahen sie die Gastgeberin an, die diese Blicke etwas unbehaglich erwiderte.
„Gehst du zur Schule?“, fragte sie den Jungen.
„Ja, Mylady, Dr. Stephanopolis unterrichtet mich, ein sehr kluger Mann. Ich lerne Sprachen, Lesen und Schreiben und Mathematik und Geografie und …“
„Und du?“, unterbrach Lady Blackstone den Wortschwall und schaute Dora an.
„Ich gehe zu den Nonnen, Kyria … Mylady. Ich lerne Le sen und Nähen und …“
„Nonnen?“ Lady Blackstone hob die dunklen Brauen.
„Ja, Tante“, bestätigte Alessa, „griechisch-orthodoxe Nonnen.“ Aus irgendwelchen Gründen schien Ihre Ladyschaft die griechisch-orthodoxe Kirche zu dulden, während sie vor dem römisch-katholischen Glauben zurückschreckte. Alessa wusste Bescheid über die religiösen Vorurteile in England, die ihr gründlich missfielen.
Unruhig rutschten die Kinder auf dem Sofa umher. Sie waren dazu erzogen worden, Erwachsenen respektvoll zu begegnen, aber auch daran gewöhnt, dass man ihnen zuhörte.
„Erzählt Lady Blackstone, wie ihr während meiner Abwesenheit unseren Haushalt geführt habt“, bat Alessa, um zu demonstrieren, was für brave, gehorsame Kinder das waren. Diesen Vorschlag lohnten ihr die beiden mit einem strahlenden Lächeln.
„Also, ich habe mich um die Damen gekümmert“, verkündete Demetri voller Stolz. „Auch um die Tiere. Außerdem habe ich die Pflanzen im Garten gegossen.“
„Und ich habe Kate beim Kochen geholfen und die alte Agatha besucht“, erklärte Dora mit einem süßen Lächeln.
Möge der Himmel die beiden segnen, wie könnte irgendjemand sie nicht mögen?
„Nun dürft ihr auf die Terrasse gehen“, sagte Lady Blackstone. „Wilkins soll euch Limonade und Biskuits servieren lassen. Guten Tag, Mrs. Street.“
Damit wurde der Besuch entlassen. Verwirrt schaute Alessa ihre Tante an. Aber Kate stand bereits auf, die Lippen verkniffen. „Kommt, Kinder, verabschiedet euch von Ihrer Ladyschaft.“
Ehe Alessa protestieren konnte, hatten sie den Raum verlassen. „Wolltest du die Kinder nicht besser kennenlernen, Tante Honoria? Wenn wir alle zusammen abreisen …“
„Ich fände es nicht richtig, die Kinder nach England zu bringen, meine Liebe. Was soll denn aus ihnen werden? Gewiss, sie sind gut erzogen, das muss ich dir zubilligen, aber – Ausländer. Und in England gibt es genug Dienstbo ten von guter Qualität. Für die beiden wäre es besser, hierzubleiben, wo sie ihre Sprachkenntnisse nutzen können.“
„ Dienstboten? Ich möchte Demetri auf eine gute engli sche Schule schicken und eine Gouvernante für Dora engagieren. Das kann ich mir leisten, nicht wahr? Wenn sie erwachsen sind, sollen sie so leben, wie sie es wünschen. Aber sie werden keinesfalls andere Leute bedienen, das will ich verhindern.“
„Mein liebes Mädchen, verstehst du nicht, wie unmöglich das wäre? Überleg doch, wie würde das aussehen?“
„Wie würde was aussehen?“
„Wenn du mit zwei Kindern im Schlepptau in England eintriffst, würden die Leute natürlich vermuten, du wärst ihre Mutter.“
„Dann werde ich ganz einfach die Wahrheit erklären!“
„Bitte, Alexandra!“ Honoria Blackstone holte tief Atem. „Glaub mir, es wird mir schon schwer genug fallen, dich in die Londoner Gesellschaft einzuführen und deine Vergangenheit zu vertuschen. Dabei kann ich zwei griechische Bauernbälger, die an deinem Rockzipfel hängen, wahrlich nicht gebrauchen.“
„Das sind keine Bälger!“
„Aber auch keine englischen Kinder aus guter Familie.“
„Demetri und Dora sind ehrlich, klug, liebevoll und lo yal, sie gehören zu mir. Und ich liebe sie. Wenn du ihnen nicht gestattest, mich nach England zu begleiten, bleibe ich hier.“
„Nein …“ Lady Blackstone erblasste. „Undenkbar.“
„Warum? Bei unserer Begegnung hast du mir empfohlen, auf Korfu zu bleiben, und du wolltest es arrangieren, dass mein Erbe hierher geschickt wird.“
„Damals war ich zu verwirrt, um die Konsequenzen zu bedenken. Stell dir vor, welchen Skandal ich verursachen würde, wenn ich dich hier zurückließe! Der Lord High Commissioner weiß Bescheid über dich, ebenso Lady Trevick, der unsägliche Graf, der Earl … Bald werden alle Engländer auf Korfu von dir erfahren. Soll ich der Enkelin und Nichte der Earl of Hambledon gestatten, auf einer griechischen Insel ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Nein, das wäre zu
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