Eine mörderische Hoch-zeit
»Aber ich nicht. Es ist doch wohl nur menschlich, dass ich ein bisschen Zeit brauche. Also lass mich in Ruhe.«
Seine Worte trafen sie wie ein Fausthieb. Sie nickte, legte sich wieder hin und wandte sich von ihm ab. »In Ordnung. Aber das, was ich erlebt habe, als ich ein Kind war, war ganz sicher kein Sex. Es war einfach obszön.« Sie kniff die Augen zu und zwang sich zu schlafen, ohne noch ein Wort mit Roarke zu wechseln.
16
I hr Link piepste, als es kaum hell war, und mit geschlossenen Augen murmelte Eve: »Kein Video. Dallas.«
»Lieutenant Eve Dallas. Hier Zentrale. Wir haben eine männliche Leiche auf der Rückseite des Hauses Nummer neunzehn in der hundertachten Straße. Wahrscheinlich Mord. Bitte begeben Sie sich umgehend zum Tatort.«
Eves Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie hatte keine Bereitschaft, weshalb also rief die Zentrale bei ihr an? »Todesursache?«
»Das Opfer wurde offenbar erschlagen. Auf Grund der schweren Gesichtsverletzungen konnte es bisher nicht identifiziert werden.«
»Verstanden. Gott verdammt.« Sie schwang ihre Beine über den Rand des Bettes und blinzelte, als sie sah, dass Roarke bereits aufgestanden war und sich anzog. »Was machst du da?«
»Ich bringe dich zum Einsatzort.«
»Du bist Zivilist. Du hast dort nichts zu suchen.« Sie schlüpfte in ihre Jeans.
»Dein Wagen ist zur Reparatur in der Werkstatt, Lieutenant«, erklärte er gelassen und hörte mit einiger Befriedigung ihr leises Fluchen. »Ich werde dich fahren. Werde dich«, verbesserte er sich, »auf dem Weg ins Büro dort absetzen.«
»Tu, was du nicht lassen kannst.« Schwungvoll legte sie ihr Stunnerhalfter an.
Es war eine elende Gegend. Die Wände mehrerer Gebäude waren mit rüden Graffitis verziert, die Fensterscheiben waren zerbrochen und an den Türen hingen Schilder, die besagten, dass der Block offiziell zum Abriss freigegeben war. Natürlich lebten trotzdem nach wie vor Menschen in den Häusern, versteckten sich in schmutzstarrenden Zimmern vor der Polizei und betäubten sich mit derjenigen Droge, die den größten Kick versprach.
Gegenden wie diese gab es überall, dachte Roarke, als er im Licht der aufgehenden Sonne hinter der Absperrung stand. Er war in einer ähnlichen Umgebung aufgewachsen, auch wenn diese dreitausend Meilen entfernt hinter dem Atlantik lag.
Er kannte und verstand das hier geführte Leben, die Verzweiflung, die krummen Geschäfte und auch die Gewalt, die zu Todesfällen führte wie dem, den Eve jetzt untersuchte.
Als er sie zwischen den betrunkenen Obdachlosen, den verschlafenen Straßenhuren, den gaff enden Junkies neben der Leiche hocken sah, wurde ihm bewusst, dass er auch sie kannte und verstand.
Ihre Bewegungen waren entschieden, ihre Miene ausdruckslos. Doch die Augen, mit denen sie die Überreste eines Menschen ansah, waren voller Mitleid. Sie war, so dachte er, fähig, stark und zäh. Was auch immer für Verletzungen sie hatte, sie würde damit leben. Er musste sie nicht heilen, sondern akzeptieren.
»Dies ist wohl kaum die für Sie typische Umgebung, Roarke.«
Er drehte den Kopf und entdeckte Feeney. »Ich bin schon in schlimmeren Gegenden gewesen.«
»Sind wir das nicht alle?« Seufzend zog Feeney ein eingewickeltes Törtchen aus der Tasche. »Möchten Sie vielleicht mein Frühstück mit mir teilen?«
»Danke. Essen Sie ruhig allein.«
Feeney verschlang die Pastete mit drei großen Bissen. »Dann gehe ich mal gucken, was unser Mädchen macht.« Er tauchte unter der Absperrung durch und klopfte zur Beruhigung der nervösen Polizisten auf die auf seiner Brust prangende Dienstmarke.
»Ein Glück, dass die Medien noch keinen Wind von der Sache haben.«
Eve hob kurz den Kopf. »An einem Mord in dieser Gegend haben sie kein besonderes Interesse – zumindest nicht, solange sie nicht wissen, wie der Typ umgekommen ist.« Ihre behandschuhten Hände waren bereits blutverschmiert, als sie neben der Leiche erneut in die Hocke ging. »Haben Sie die Bilder?« Auf das Nicken des Kameramanns hin schob sie ihre Finger vorsichtig unter die Leiche. »Komm, Feeney, drehen wir ihn um.«
Der Mann hatte mit dem Gesicht nach unten am Boden gelegen, und aus dem faustgroßen Loch in seinem Hinterkopf quoll jede Menge Blut und Hirnmasse heraus. Sein Profil jedoch bot ebenfalls nicht gerade einen hübschen Anblick.
»Keine Papiere«, sagte Eve zu Feeney. »Peabody ist im Haus und geht von Tür zu Tür, um zu sehen, ob wir jemanden finden, der ihn kennt oder eventuell etwas
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