Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
mir meine Worte sorgfältig zurechtgelegt, nun konnte ich sie endlich anbringen: "Herr von Werlitz, darf ich Sie in einer wichtigen Angelegenheit für einen Moment unter vier Augen sprechen?"
Er sah mich scharf an und seine Augen wurden schmal. "Um was handelt es sich?", fragte er misstrauisch. Meine Erwiderung, dass ich mit ihm gern über Melissa reden würde, löste einen veritablen Wutausbruch aus. "Schämen Sie sich nicht? Können Sie mich und meine Familie denn nie in Ruhe lassen?", stieß er hervor. "Für eine Meldung, die Sie der skandalhungrigen Meute vorwerfen können, ist Ihnen wohl jedes Mittel recht?"
Schlagartig wurde mir klar, welches Missverständnis hier vorlag. "Herr von Werlitz, ich bin nicht von der Presse." Hastig nestelte ich den Presseausweis von meiner Bluse." Nichts was ich Sie fragen möchte, wird an die Öffentlichkeit gelangen. Das ist auch in meinem eigenen Interesse. Ich bin schon von Berufs wegen zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet." Mit diesen Worten gab ich ihm meine Karte. "Ich bin Melissa Morgenroths Therapeutin. Sie hat mir das Gespräch mit Ihnen ausdrücklich gestattet." Letzteres traf zu, erst vor einigen Stunden hatte ich mir ihr Einverständnis eingeholt. "Er wird nicht mit dir reden wollen", hatte sie mutlos hinzugefügt, "nicht nach all dem, was jetzt schon wieder geschehen ist."
Fast sah es so aus als würde sie Recht behalten. Herr von Werlitz musterte mich wie ein lästiges Insekt und schien dann plötzlich einen Entschluss zu fassen. Er packte mich energisch am Ellbogen und schob mich neben sich her. Ich hatte keine Ahnung, ob er mich eigenhändig aus dem Haus werfen oder dem Sicherheitsdienst übergeben wollte. Schließlich schob er mich energisch in ein Büro und schloss die Tür hinter uns.
"Vielleicht sollte ich wirklich mit Ihnen reden", waren seine ersten Worte, "glauben Sie bitte nicht, dass mich die ganze Situation nicht belasten würde."
Er hatte mir 15 Minuten gegeben, doch am Ende redeten wir über eine Stunde miteinander. Nachdem er mir erzählt hatte, dass sein Haus in den vergangenen Wochen und Monaten ständig von Reportern belagert wurde, verstand ich seinen anfänglichen Zorn. "Ich würde Melissa gern helfen", sagte er, "doch ich habe keine Ahnung, wie ich das in sinnvoller Weise tun könnte. Vielleicht tatsächlich, indem ich Ihnen alles erzähle. Wenn Sie sich derart für sie engagieren, muss Ihnen wirklich an Melissa gelegen sein."
"Es ist unüblich, was ich tue", sagte ich, "doch Melissa ist auch alles andere als ein üblicher Fall. So vieles ist ihr selbst noch unklar."
Hans-Friedrich von Werlitz begann chronologisch zu erzählen. Er sprach von dem Kinderwunsch, der ihm und seiner Frau leider nicht erfüllt wurde. "Wir haben alles versucht, alle Möglichkeiten der modernen Medizin ausgeschöpft. Aber nichts hat funktioniert und dann hatte meine Frau auch noch zwei Fehlgeburten. Sie war völlig mit den Nerven am Ende. Ich habe schließlich eine Adoption vorgeschlagen. Ich wollte nicht, dass meine Frau sich weiter quält. Sie konnte sich erst nicht dazu entschließen, ein Säugling kam ja wegen unseres fortgeschrittenen Alters nicht in Frage. Bei einem älteren Kind wisse man nie, welchen negativen Einflüssen es früher schon ausgesetzt war, meinte sie. Trotzdem haben wir uns schließlich dazu durchringen können. Als es dann so weit war, haben wir uns auf den ersten Blick in das kleine Mädchen mit den blonden Locken und den traurigen dunklen Augen verliebt. Melissa war anfangs sehr zurückhaltend, wir wollten ihr Zeit lassen, sich an uns und ihr neues Zuhause zu gewöhnen. Von ihrer Vorgeschichte wussten wir so gut wie nichts, nur, dass beide Eltern tot waren. Sie war gerade mal zwei Monate bei uns, da wurde meine Frau plötzlich schwanger. Mit 45 Jahren und ohne Hormonbehandlung! Es war wie ein Wunder. Wir haben uns sehr auf das Kind gefreut, aber dass Melissa deshalb überflüssig wurde, ist eine bösartige Verleumdung, die wir uns leider oft anhören mussten. Sie sollte ein Geschwisterkind bekommen und wir waren fest entschlossen, beide Kinder gleich zu behandeln. Aber dann kam es zu diesem unglückseligen Vorfall."
Er machte eine kurze Pause und atmete tief durch, bevor er weiter sprach. "Eines Tages kam eine der Nonnen aus dem Waisenhaus zu Besuch, um sich zu erkundigen wie sich Melissa eingelebt hat. Meine Frau war allein zu Hause, ich musste ja arbeiten. Diese Nonne reagierte mit sichtlichem Entsetzen auf die Schwangerschaft
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