Eine unzüchtige Lady
»ihre Meinung ändern. Wenn sie nicht mit dir redet - und ich bin mir ziemlich sicher, sie ist noch immer in dieser Gemütsverfassung -, solltest du dein berüchtigtes Talent für einen guten Zweck nutzen und ihre Meinung so ändern. Du hast dieses Talent im Laufe der Jahre bereits in unzähligen Schlafzimmern unter Beweis gestellt. Lass all diese Übungseinheiten nicht verschwendet sein, wenn es einmal um eine wirklich wichtige Frau geht.«
Derek starrte seinem Onkel verblüfft nach, als dieser davonschlenderte und sich unter die Gäste mischte.
Hatte Thomas tatsächlich gerade vorgeschlagen, er solle Annabel verführen?
Das Abendessen war einfach, aber auf seine schlichte Art köstlich, wie es eine Mahlzeit auf dem Land nur sein konnte. Die Butter war frisch geschlagen, das Gemüse frisch geerntet und gedünstet, bis es zart auf der Zunge dahinschmolz; das Fleisch war hervorragend und wurde mit einer sämigen, braunen Sauce serviert. Zum Dessert trug Mrs. Sims eine Fruchttorte mit Birnen aus dem Garten des Anwesens auf. Caroline genoss jeden einzelnen Bissen.
Ebenso sehr wie die Unterhaltung, wie sie überrascht feststellte. Sie saßen in einem kleinen Salon, der gewöhnlich als Frühstücksraum diente. Die niedrige Decke und die großen Fenster schufen eine heimelige Atmosphäre, der Tisch war nicht allzu groß, es gab nicht viel Platz. Dennoch war das Zimmer sehr ansprechend. Kerzen warfen ihr flackerndes Licht über den Tisch, der schon viele Jahre kommen und gehen gesehen hatte. Doch
wie alles in diesem Haus, von den polierten dunklen Holzdielen bis zum Wandgemälde eines Frühlingsgartens, war dieser Raum sehr gepflegt. Ein hübscher, nicht ganz so formeller Rückzugsort und gar nicht das, was sie von einem erhabenen Duke erwartet hätte, der stets ein großes Vermögen zur Hand hatte.
Die Anspruchslosigkeit des Dukes war ihr willkommen. Es überraschte sie aber auch.
Er überraschte sie.
Angesichts der vor ihnen liegenden Nacht war sie immer noch nervös, aber Nicholas Manning hatte die einmalige Fähigkeit, einen Großteil des Gesprächs zu bestreiten, ohne es völlig an sich zu reißen. Sie hatte inzwischen erkannt, dass er eine seltene Ausnahme unter den Männern war, denn er wünschte nicht, mehr über sich zu reden als über jedes andere Thema.
Seine Pferde waren eine andere Sache. Sie waren ganz klar seine Obsession. In Ascot hatte sie erleben dürfen, wie erfolgreich er damit war.
»Norfolk hat an jenem Tag gewonnen«, erzählte er ihr. Ein leicht verschmitztes Lächeln erschien bei der Erinnerung an das Ende der Geschichte auf seinem Gesicht. Seine Finger umspielten das Glas mit dem Portwein, den er sich nach dem Essen hatte servieren lassen. »Mit einem gebrochenen Sprungbein. Er konnte nicht mehr vom Siegerpodium zum Stall gehen. Ich habe nie so viel Mut gesehen. Mein Trainer weinte. Ich gestehe, auch ich habe die eine oder andere Träne vergossen.«
Der teuflische Duke weinte wegen eines verletzten Rennpferds, obwohl er sich doch mit seinem Vermögen ein anderes - oder hundert andere - kaufen konnte?
Caroline blickte ihn über den Tisch hinweg an. »Seid Ihr schon immer pferdeverrückt gewesen?«
Er lachte und zeigte dabei seine strahlend weißen Zähne. »Ich glaube schon. Als kleiner Junge habe ich versucht, meinem Lehrer
zu entkommen, aber er wusste, dass er mich in den Ställen finden konnte, wenn ich unter geheimnisvollen Umständen nicht zum Unterricht erschien. Ich schätze, das Zuchtbuch unserer Pferde hat mich immer mehr interessiert als Latein oder Altgriechisch.«
Der Gedanke, wie er wohl als Kind gewesen war, machte sie neugierig. Warum wohl? Sie war sicher, es lag an ihrer eigenen Kindheit, die so trostlos gewesen war.
»Habt Ihr Geschwister?« Caroline konnte den frischen Geruch von geschnittenem Gras und Blumen riechen, der von einer Brise durch die offenen Fenster hereingetragen wurde. Die Klarheit eines hereinbrechenden Abends. Es war herrlich.
»Eine ältere Schwester«, antwortete er ziemlich rasch. »Sie ist mit einem Baron verheiratet. Die beiden haben drei Töchter. Charles arbeitet für das Kriegsministerium und erbringt einen Einsatz, den wohl kaum jemand zu würdigen weiß.«
Da sie in ihrer Kindheit der familiären Wärme beraubt worden war, spürte Caroline Neid, der bei der Zuneigung in seiner Stimme in ihr aufflammte. »Und Eure Mutter?«
»Sie residiert zumeist in Kent auf Rothay Hall, aber gelegentlich kommt sie auch nach London.« Er hob leicht
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