Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Malvyn.
„Wir waren aber erst um eins verabredet.“
„Wie spät ist es denn?“ fragte er.
Ich schaute auf die Uhr über der Küchentür. „Elf.“
„Dann bin ich doch gut in der Zeit.“ Er ging an mir vorbei in die Wohnung.
„Äh, Malvyn. Ich habe noch nicht mal geduscht …“
„Brauchst du etwa Hilfe, Bruder?“ Er schaute mich mit seinen großen unschuldigen Augen an. Am liebsten hätte ich „Ja“ gesagt, aber Malvyn war viel zu jung, er kam aus einem fernen Land und war der Neffe meines besten Freundes. Das kam überhaupt nicht in Frage.
„Ich will damit nur sagen … Ach, vergiß es.“ Ich schloß die Tür und führte ihn ins Wohnzimmer. „Dann geh ich mal eben ins Bad. Willst du Musik hören? Kann ich dir was zu trinken bringen?“
„Ich komme, um dich zu besuchen, nicht, um bedient zu werden, Mäxx.“
Der Name setzte mich unter Strom. „Wie hast du mich genannt?“
„Mäxx, Mann. Heißt du nicht so?“
Er sprach meinen Namen englisch aus. Keiner außer Christian hatte mich zuvor Mäxx genannt. „Doch, doch.“ Irritiert ging ich ins Bad. Im Spiegel schaute mir ein zerknittertes Gesicht entgegen. Ich starrte es lange an. Mäxx, Mäxx …
Ich rasierte mich, dann drehte ich die Dusche an und ließ meinen Bademantel fallen. Unter dem heißen Strom seifte ich mich ein und spülte mir den Geruch von Einsamkeit vom Leib.
Sobald ich die Dusche abgedreht hatte, vernahm ich ein lautes Geräusch. Malvyn drehte die Musik auf ein ohrenbetäubendes Niveau auf: Montserrat Caballé.
Tropfend naß schlüpfte ich in den Bademantel und stürmte hinaus. Malvyn saß in einem Sessel, zündete sich gerade eine Zigarre an, der Katalog französischer Impressionisten lag aufgeschlagen auf dem Tisch, meinem Heiligtum.
„Völlig abgefahren, Mann. Die Frau kann echt singen“, sagte er und grinste dieses freudige, sonnige Weiße-Zähne-Grinsen, das meinen plötzlichen Ärger im Nu auslöschte: So etwas Ähnliches hatte Christian damals auch gesagt, als ich ihm Kiri TeKanawa vorspielte: „Die Braut kann wirklich singen“, sagte er; ich höre es noch heute.
Ich drehte die Musik herunter: „Meine Nachbarn sollen sich nicht gestört fühlen“, sagte ich und ging wieder ins Bad, um mich abzutrocknen und einzucremen.
Als ich eine Viertelstunde später angezogen war, fragte ich Malvyn, ob er Hunger hatte.
„Hunger hab ich immer“, antwortete er.
„Dann komm mit.“ Ich führte ihn in meine Eßküche und setzte ihn an den Tisch.
„Kannst du die irgendwo ausmachen?“ Er reichte mir den Stumpen, ausgerechnet eine von den Cohibas mußte er verpaffen. Ich nahm sie ihm ab und hielt sie unters fließende Wasser, dann steckte ich sie in den Müll.
„Ich bin kein guter Koch“, erklärte ich und wickelte ein paar Häppchen aus, die ich am Tag zuvor geholt hatte: Spargel in Schinkenröllchen, glasierter Lachs, halbierte, eingelegte King Prawns und noch einiges andere. „Ich hoffe, es ist okay.“
„Mann, ist fast wie zu Hause“, sagte er und lachte; das war wohl eher ironisch gemeint.
„Es wundert mich ja, daß Bernhard dich überhaupt zu mir gelassen hat“, sagte ich, und Malvyn senkte den Blick. „Oh, ich verstehe. Er weiß nichts davon. Na, mach dir keine Sorgen. Ich bin der letzte, der es ihm sagen wird.“ Bernhard, der ewige Lehrer, der sich ständig dazu berufen fühlte, anderen zu sagen, was sie zu tun hatten. „Hat er dir auch erzählt, daß ich ein Sexmonster bin?“
„Nein, Mann. Er redet nie über dich. Ehrlich. Ich würd’s dir sagen.“ Er fischte ein Prawn aus dem Plastikschälchen und steckte es sich in seinen großen, hellen Mund. „Und?“ fragte er.
„Was?“
„Bist du denn eins?“
„Nein. Ganz im Gegenteil.“
„Warum denkt er das dann?“ wollte er wissen.
„Ich habe einen Roman geschrieben, in dem die Hauptfigur sehr viel anonymen Sex hat, wenigstens am Anfang der Geschichte. Bernhard glaubt, sie wäre autobiographisch.“
„Ist sie das?“
„Nur zum Teil, Malvyn. Ja, ich hatte früher viel Sex, aber deswegen bin ich noch lange kein Monster.“
„Ach ja“, sagte er und angelte sich eine Spargelspitze; es sah lustig aus, dieses kleine, weiße Ding zwischen seinen dunklen Fingern. „Von dem Roman hat mir Ed schon erzählt.“ Er leckte das Öl von seinen Fingern; Malvyn hatte eine lange, sehr helle Zunge.
„Was denn?“ Ich legte Besteck auf den Tisch sowie Papierservietten und stellte ihm den Brotkorb vor die Nase.
„Von diesem Christian, deinem
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