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Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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weggefahren. Etwa zwanzig Minuten später habe ich mich zur Uni aufgemacht. Mein letztes Seminar ging bis drei, und kurz nach vier bin ich wieder nach Barnard’s Crossing zurück. Ich habe in der Glen Lane geparkt, wie immer. Es gibt da einen kleinen Buckel, so einen Haufen aus Sand und Kies, der vielleicht mal vom Straßenbau übriggeblieben ist, und wenn meine Batterie streikt, das macht sie nämlich manchmal, besonders, wenn es regnet, brauche ich den Wagen nur bergab rollen zu lassen, dann springt er wieder an. Meine Mutter hatte mir noch was zum Abendessen gemacht, das habe ich mir aus dem Kühlschrank geholt und aufgewärmt. Dann hab ich abgewaschen und mir meine Bücher vorgenommen. Für den nächsten Tag war eine Klausur angesetzt, und ich hatte eine Menge zu lesen. Gegen elf bin ich ins Bett gegangen. Am nächsten Morgen fuhren wir zur Uni–»
    «Wir?»
    Der Junge sah ihn verdutzt an. «Wir?» wiederholte er.
    «Sie haben eben ‹wir› gesagt», meinte der Rabbi.
    «Ach so. Ich und mein Auto.»
    Der Rabbi nickte. «Und da ist Ihnen der zerbrochene Scheinwerfer nicht aufgefallen?»
    «Schauen Sie sich immer Ihren Wagen von vorn an, ehe Sie sich ans Steuer setzen, Rabbi?»
    «Ich glaube nicht.»
    «Na schön, ich schrieb also die Klausur, ging zu den übrigen Seminaren, und gegen vier fuhr ich heim. Als ich nach Barnard’s Crossing kam, merkte ich, daß der Sprit ziemlich unten war, und hielt an, um zu tanken. Und an der Tankstelle hat einer das mit dem Scheinwerfer gemerkt, und ich hab mir einen neuen einbauen lassen. Und am nächsten Tag standen zwei Cops vor der Tür, und ich war verhaftet. Ja, das war’s auch schon.»
    «Sie waren an dem Mittwoch, nachdem Sie aus Boston gekommen waren, zu Hause? Ab fünf etwa, sagten Sie?»
    «Stimmt.»
    «Wie erklären Sie es sich dann, daß Glas, das von Ihrem Scheinwerfer stammt, in der Glen Lane gefunden wurde?»
    «Woher weiß ich, daß es Glas von meinem Scheinwerfer ist?» konterte Paul.
    «Die Polizei hat die Splitter mit den Scherben verglichen, die man an der Tankstelle aus Ihrem Wagen geholt hatte.»
    «Woher weiß ich, daß die Scherben in der Tankstelle wirklich aus meinem Wagen waren und nicht aus einem ganz anderen?»
    «Soweit ich weiß, war es der einzige Scheinwerfer, den sie dort in den letzten Tagen ausgetauscht haben.»
    «Und woher weiß ich, daß die Scherben wirklich zueinander passen? Haben Sie sich mal mit Anthropologie beschäftigt, Rabbi?»
    Der Rabbi schüttelte, einigermaßen verblüfft über den plötzlichen Themenwechsel, den Kopf.
    «Ich hab letztes Jahr Anthropologie I belegt. Da findet jemand einen Zahn, und zwei Meter weiter findet er ein Fragment eines Kieferknochens. Er paßt den Zahn in ein Loch im Kieferknochen ein. Allzugut sitzt er nicht – nicht so, als wenn ein Zahnarzt einen Zahn in ein Gebiß einsetzt –, aber er paßt gerade eben rein. Und schon weiß der Schlaukopf, daß der Typ damals fünf Fuß groß war, aufrecht ging, Jäger war und von Fleisch lebte. Und dann malt er Ihnen ein Bild von dem Mann und erzählt Ihnen seine ganze Lebensgeschichte. Schon mal vom Piltdown-Mann gehört? Da hat ein Witzbold das Schädeloberteil eines modernen Menschen auf den Kieferknochen eines Affen gesetzt. Oder umgekehrt, so genau erinnere ich mich nicht mehr. Und alle großen Tiere, die Biologen und Wissenschaftler, haben das Wunder angestarrt und eine Theorie nach der anderen ausgeknobelt. Und dann sind sie fünfzig Jahre später – fünfzig Jahre, man muß sich das mal vorstellen! – drauf gekommen, daß es eine Fälschung war.»
    «Und Sie glauben, daß in Ihrem Fall etwas Ähnliches passiert sein könnte und die Polizei versucht, Ihnen was anzuhängen? Aber weshalb sollte sie das tun?»
    «Ich will ja nicht behaupten, daß sie gegen mich persönlich was haben, obwohl wir neu in der Stadt sind und man hier ja als Ausländer gilt, wenn man nicht in Barnard’s Crossing geboren ist. Aber ich könnte mir vorstellen, daß der Polizei daran liegt, den Fall zu klären, und daß sie, wenn’s sein muß, eben auch mal was passend macht.»
    «Haben Sie darüber mit Chief Lanigan gesprochen?»
    «Je weniger ich sage, desto besser, hab ich mir gedacht. Jedenfalls, solange ich noch keinen Anwalt habe.»
     
    «Er ist nicht dumm», sagte der Rabbi später zu Lanigan. «Und zu leugnen, daß sein Wagen an dem Unfall in der Glen Lane beteiligt war, würde eigentlich – wenn man bedenkt, was Sie an Beweisen gegen ihn in der Hand haben – von

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