Einfach göttlich
Stab. Und an seinem Haupt zeigte sich das Leuchten der heiligen Hörner.« Der Novize zögerte. Er hatte die Statuen und sakralen Ikonen gesehen – sie konnten sich nicht irren.
»So ein Bursche ist mir nie über den Weg gelaufen«, meinte der kleine Gott Om.
»Vielleicht war er nicht ganz so groß«, räumte Brutha ein.
»Ossory, Ossory«, murmelte die Schildkröte. »Nein… nein… sagt mir überhaupt nichts…«
»Er schrieb, daß du aus einer Feuersäule zu ihm gesprochen hast«, fügte Brutha hinzu.
»Ach, der Ossory«, erwiderte Om. »Feuersäule. Ja.«
»Bei jener Gelegenheit hast du ihm das Buch Ossory diktiert«, sagte der Novize. »Komplett mit den Anweisungen, Richtlinien und Abschwörungen. Insgesamt sind es hundertdreiundneunzig Kapitel.«
»Ich bezweifle, daß ich ihm wirklich so viel diktiert habe«, sagte die Schildkröte skeptisch. »Hundertdreiundneunzig Kapitel hätte ich bestimmt nicht vergessen.«
»Was hast du ihm denn dann gesagt?«
»Ich glaube, meine Worte lauteten: ›He, sieh mal, was ich kann!‹« antwortete Om.
Brutha starrte auf die Schildkröte hinab. Sie wirkte verlegen, soweit sich das feststellen ließ.
»Selbst Götter möchten sich mal entspannen«, rechtfertigte sich Om.
»Hunderttausende von Menschen leben nach den Maßstäben der Regeln und Richtlinien!« stieß Brutha hervor. »Von den Abschwörungen ganz zu schweigen.«
»Sollen sie ruhig«, erwiderte die Schildkröte. »Ich beabsichtige nicht, sie daran zu hindern.«
»Wenn du die göttlichen Vorschriften nicht diktiert hast – wer dann?«
»Was fragst du mich? Ich habe bereits darauf hingewiesen, nicht allwissend zu sein.«
Brutha zitterte vor Zorn.
»Und der Prophet Abbys? Ich schätze, er hat die Kodizille durch reinen Zufall bekommen, wie?«
»Von mir hat er sie nicht.«
»Der Text steht auf drei Meter großen Bleiplatten!«
»Oh, dann muß ich ja dafür verantwortlich sein, nicht wahr? Ich trage immer einige tonnenschwere Bleiplatten mit mir herum für den Fall, daß ich einem Propheten in der Wüste begegne.«
»Wenn du sie ihm nicht gegeben hast… Von wem sonst soll Abbys sie bekommen haben?«
»Was weiß ich?« erwiderte die Schildkröte. »Woher sollte ich es auch wissen? Schließlich kann ich nicht überall zugleich sein.«
»Du bist omnipräsent!«
»Wer behauptet das?«
»Der Prophet Haschimi!«
»Höre jetzt zum erstenmal von ihm.«
»Ach, tatsächlich? Dann hat er das Buch der Schöpfung nicht von dir erhalten, oder?«
»Welches Buch der Schöpfung?«
»Soll das etwa heißen, du kennst es nicht?«
»Nein!«
»Wer hat es ihm dann gegeben?«
»Keine Ahnung! Vielleicht hat er’s selbst geschrieben!«
Brutha preßte sich entsetzt die Hand auf den Mund.
»Daff ift Blaffemie!«
»Was?«
Brutha ließ die Hand sinken.
»Das ist Blasphemie!«
»Blasphemie? Ich kann überhaupt nicht blasphemisch sein. Immerhin bin ich ein Gott!«
»Ich glaube dir nicht.«
»Ha! Willst du noch einmal von einem Blitz getroffen werden?«
»So etwas nennst du einen Blitz?«
Bruthas Wangen glühten, und er bebte am ganzen Leib. Die Schildkröte ließ traurig den Kopf hängen.
»Na schön, na schön«, seufzte sie. »Er hätte etwas eindrucksvoller sein können, das gebe ich zu. Unter normalen Umständen wären jetzt nur noch zwei qualmende Sandalen von dir übrig.« Der Schildkröte gelang es, Betroffenheit zum Ausdruck zu bringen. »Ich verstehe das nicht. So etwas ist mir noch nie passiert. Für eine Woche wollte ich zu einem großen weißen Stier werden, und statt dessen bin ich drei Jahre lang ein kleines Reptil. Warum? Ich weiß es nicht, und das ist um so verwunderlicher, da ich eigentlich alles wissen sollte – wenn man den Propheten glauben darf, denen ich angeblich begegnet bin. Man hat mich überhaupt nicht beachtet! Ich habe versucht, mit Ziegenhirten und so zu reden, aber nie hat mich jemand gehört! Ich habe schon angefangen, mich für eine Schildkröte zu halten, die davon träumt, ein Gott zu sein. Ja, so schlimm wurde es.«
»Vielleicht stimmt es«, spekulierte Brutha. »Vielleicht bist du wirklich nur eine größenwahnsinnige Schildkröte.«
»Deine Beine sollen auf die Größe von Baumstämmen anschwellen!« fauchte Om.
»Aber… aber…« Der Novize suchte nach den richtigen Worten. »Wenn du recht hast… Dann sind die Propheten nur Leute, die irgend etwas niedergeschrieben haben.«
»Ja, genau.«
»Ich meine, sie haben Botschaften niedergeschrieben, die nicht von dir
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