Einfach göttlich
Tyrann.
Die Ephebianer hielten es für richtig, daß jeder Bürger eine Stimme hatte 6 . Alle fünf Jahre wählte man jemanden zum Tyrannen, wobei die geeignete Person ehrlich, intelligent, vernünftig und vertrauenswürdig sein mußte. Sofort nach der Wahl begriff das Volk, daß es sich beim Regenten um einen kriminellen Irren handelte, der den Kontakt zum gewöhnlichen nackten und tropfnassen Philosophen auf der Straße völlig verloren hatte. Fünf Jahre später wurde ein anderer Tyrann gewählt, der ähnliche Eigenschaften aufwies – es war erstaunlich, daß intelligente Personen immer wieder den gleichen Fehler machten.
Die Kandidaten für das Amt des Tyrannen wurden bestimmt, indem man schwarze und weiße Kugeln in verschiedene Urnen legte. Diese Tradition gab viel Anlaß für abfällige Bemerkungen in Hinsicht auf Politik.
Der gegenwärtige Tyrann war ein kleiner dicker Mann mit dürren Beinen – er wies beträchtliche Ähnlichkeiten mit einem Ei auf, in dem etwas verkehrt herum auszuschlüpfen versuchte. Er saß allein in der Mitte des großen Raums, auf einem von Schriftrollen und Zetteln umgebenen Stuhl. Die Füße berührten den marmornen Boden nicht, und das Gesicht glänzte rosarot.
Aristokrates raunte ihm etwas zu. Der Tyrann sah von den Pergamenten auf.
»Ah, die omnianische Delegation«, sagte er, und ein Lächeln huschte ebenso über sein Gesicht wie eine Eidechse über einen Stein. »Nehmt Platz, ihr alle.«
Er sah wieder nach unten.
»Ich bin Diakon Vorbis von der Zitadellenquisition«, sagte Vorbis kühl.
Der Tyrann hob den Kopf und bedachte ihn mit einem neuerlichen Eidechsenlächeln.
»Ja, ich weiß«, erwiderte er. »Du verdienst dir deinen Lebensunterhalt damit, Leute zu foltern. Bitte setz dich, Diakon Vorbis. Und das gilt auch für deinen rundlichen Freund, der nach etwas zu suchen scheint. Und auch für die anderen. Gleich kommen einige junge Frauen mit Trauben und so. Das passiert praktisch immer. Es läßt sich gar nicht vermeiden.«
Die Omnianer sanken auf die Sitzbänke vor dem Platz des Tyrannen. Vorbis blieb stehen.
Der ephebianische Herrscher nickte. »Wie du wünschst«, sagte er.
»Dies hier ist unerträglich!« stieß Vorbis plötzlich hervor. »Man hat uns behandelt wie…«
»Ich schätze, wir hätten bei euch nicht mit einer so guten Behandlung rechnen dürfen«, verkündete der Tyrann gelassen. »Es ist mir völlig gleich, ob du Platz nimmst oder nicht, Diakon. Wir sind hier in Ephebe, in einem freien Land. Von mir aus kannst du auf dem Kopf stehen, wenn du unbedingt willst. Wenn ich bei dir in der Zitadelle um Frieden nachgesucht hätte… Vermutlich wäre mir nichts anderes übriggeblieben, als auf den blutigen Resten meines Bauches zu dir hinzukriechen. Verschwende keine Zeit mit dem Versuch, etwas anderes zu behaupten. Setz dich oder bleib stehen, Diakon, aber sei still. Ich bin fast fertig.«
»Womit?« fragte Vorbis.
»Mit dem Friedensvertrag.«
»Deswegen sind wir hier: um einen Friedensvertrag auszuhandeln.«
»Nein«, entgegnete der Tyrann. Einmal mehr huschte die metaphorische Eidechse über den imaginären Stein. »Ihr seid hier, um den Vertrag zu unterzeichnen.«
O m holte tief Luft, bevor er sich nach vorn schob.
Die Treppe war ziemlich lang, und der kleine Gott mußte sich von einer Stufe zur nächsten fallen lassen. Schließlich brachte er die letzte hinter sich.
Er hatte sich verirrt. Aber in Ephebe die Orientierung zu verlieren… Das war nicht annähernd so schlimm wie in der Zitadelle. Wenigstens konnte er hier nicht in einen Keller stürzen.
Bibliothek, Bibliothek, Bibliothek…
In der Zitadelle gab es eine Bibliothek. Brutha hatte sie beschrieben, und deshalb wußte Om, wonach es Ausschau zu halten galt.
Die Bibliothek in der Zitadelle enthielt ein Buch.
D ie Friedensverhandlungen kamen nicht gut voran.
»Ihr habt uns angegriffen!« ereiferte sich Vorbis.
»Ich nenne so etwas präventive Verteidigung«, erwiderte der Tyrann. »Wir haben beobachtet, welches Schicksal Instanzia, Betrek und Uschistan erlitten haben.«
»Dort erkannte man die Wahrheit von Om!«
»Ja«, murmelte der Tyrann. »Das mag tatsächlich geschehen sein. Zum Schluß.«
»Und jetzt sind jene Länder stolze Mitglieder des Reiches.«
»Ja«, sagte der Tyrann. »Ja, sie gehören jetzt tatsächlich zum Reich. Das mit dem Stolz ist eine andere Sache… Nun, wir möchten sie so in Erinnerung behalten, wie sie einst gewesen sind. Bevor du ihnen jene
Weitere Kostenlose Bücher