Einsatzort Vergangenheit (German Edition)
mich an ein anderes seiner misslungenen Experimente. Danach hatte es
tagelang im ganzen Haus nach Schwefel gestunken. Ja, das war es, der Nachbar
experimentierte mitten in der Nacht und ich nahm das nun im Traum wahr. Eine
andere Erklärung konnte es hierfür gar nicht geben. Nein, durfte es nicht
geben, alles andere wäre reiner Wahnsinn. Bevor ich etwas zu Phil sagen konnte,
nahm er meinen Arm und zog mich zur Seite.
„He,
aufhören, was soll das? Nur weil ich mir im Traum wehgetan habe, muss das nicht
heißen, dass ich nicht träume. Ganz klarer Fall von Klartraum, ich kann bestimmen
was ich mache und jetzt wache ich einfach auf“, quasselte ich darauf los, Phil
völlig ignorierend.
„Muss
man dir das mit dem Vorschlaghammer eintrichtern, oder was? Du bist im London
des Jahres 1597, glaub es endlich!“ So konnte er doch nicht mit mir in meinem
Traum umgehen, reichte völlig aus, wenn er es tat, wenn ich wach war.
„Schluss
jetzt! Das ist mein Traum und da bestimme ich, was geschieht und du hörst jetzt
sofort auf mich zu beleidigen“, fauchte ich ihn an. Er konnte gar nicht anders,
er musste jetzt einfach nett zu mir sein, weil ich das in meinem Traum so
wollte. Wie sein nächster Satz bewies, war meine Message an mein schlafendes
Ich dann doch nicht angekommen:
„Du
bist der starrköpfigste Mensch, den ich kenne. Es will vielleicht nicht in dein
Spatzenhirn rein, aber das ist kein Traum, sondern leider die Realität. Und
jetzt komm mit, wir ziehen schon genug Aufmerksamkeit auf uns.“ Dabei hielt er
mich weiterhin am Arm fest und führte mich, anscheinend wahllos, durch das
Gewimmel der engen Gassen. Die vielen Eindrücke, die auf mich einstürmten,
hielten mich davon ab, mich sonderlich gegen seine Behandlung zu wehren. Was
hatte ich gestern Abend zu mir genommen, dass ich solche Träume hatte? So etwas
hatte ich schon lange nicht mehr geträumt, ich sollte mich zukünftig wirklich
intensiver auf meinen Unterricht vorbereiten, wenn das solche Nebenwirkungen
mit sich brachte! Das Allererste, was ich tun musste, wenn ich am Morgen wach
wurde, war das alles aufzuschreiben, bevor es im Morgengrauen verblich. Auch
das Spatzenhirn!
Wir
liefen eine ganze Weile durch die engen Straßen, vorbei an Marktständen, an
denen es Obst, Gemüse und lebendes Geflügel zu kaufen gab! Menschen, die schwer
beladene Karren hinter sich herzogen, kamen uns entgegen. Und alle unterhielten
sich auf Englisch! Ich hörte immer nur einzelne Wortfetzen und es klang anders,
als ich es gewohnt war, aber es handelte sich hierbei eindeutig um Englisch.
Das letzte Mal, dass ich auf Englisch geträumt hatte, war während meines
Auslandssemesters in Oxford gewesen. Warum aber sprachen die Leute in meinem
Traum plötzlich Englisch? Der widerliche Geruch wurde zu unserem
allgegenwärtigen Weggefährten. Es würde mich nicht wundern, wenn gleich die
Feuerwehr käme, um mein Haus zu evakuieren. Das Experiment meines Nachbarn war
offensichtlich richtig in die Hose gegangen. Ohne Vorwarnung blieb Phil mitten
auf der Straße stehen und ich knallte mit meiner Nase gegen seinen Rücken. Noch
während ich einen Schmerzensschrei unterdrückte, stellte ich fest, dass er
sensationell gut roch, besser noch als Sven. Wonach er genau roch, konnte ich
nicht bestimmen, aber auf alle Fälle handelte es sich um einen Geruch, der
einem die Knie weich werden lassen konnte. Und auf alle Fälle um Millionen
besser war als dieser Fäkaliengeruch, der uns umgab. Als ich wieder genügend
Abstand zwischen uns gebracht hatte, hob ich meinen Kopf zu dem Schild, das
über uns hing. Ein Reiter hoch zu Ross war darauf zu sehen und darunter stand
„The George Inn“. Ohne groß zu verweilen, führte Phil mich durch den Eingang in
einen von Fachwerkhäusern umgebenen Innenhof. Im Vergleich zu den mit Schotter
aufgeschütteten Straßen, die wir bisher durchquert hatten, war dieser Hof mit
Kopfsteinpflaster versehen. Zielstrebig ging Phil auf ein Gebäude zu, das von
außen aussah, als handelte es sich um einen Stall. Er schaute sich um, und
nachdem er sichergestellt hatte, dass uns niemand beobachtete, schob er mich
zum Eingang hinein. Der vertraute Geruch eines Pferdestalls stieg mir in die
Nase. Erst langsam gewöhnten sich meine Augen an die im Inneren herrschende
Dunkelheit. Hier brannte kein Licht, nur wenig Helligkeit drang durch kleine
Verschläge von außen herein. In den Boxen standen einige Pferde, die leise, als
wollten sie uns begrüßen, wieherten.
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