Einsatzort Vergangenheit (German Edition)
und widernatürlich. Männer in Frauenkleidern, nein das kann
ich nicht ertragen.“ Verdammt, ich hatte solche Hoffnungen gehabt. Warum konnte
sie nicht einfach eine nette alte Dame sein, die etwas Spaß am Leben hatte?
Stattdessen war sie eine alte, sauertöpfische Ziege, und wenn ich William
gewesen wäre, wäre ich schon viel früher abgehauen.
„Aber
ich weiß, wohin wir gehen“, unterbrach William sie plötzlich.
„Master
William, wie oft habe ich Euch gesagt, dass Kinder zwar zu sehen, aber nicht zu
hören sind. Ihr sprecht nur, wenn ihr gefragt werdet! Habt ihr verstanden?“
Sicherlich handelte sie nach den neuesten Erziehungsmethoden ihrer Zeit. Für
mich war ihre Vorgehensweise doch dermaßen unerträglich, dass ich mich schwer
zusammenreißen musste, um ihr nicht etwas außerordentlich Ungehöriges an den
Kopf zu werfen.
„Dann
erzählt mir Master Robert, welches Stück Ihr Euch ansehen werdet. Seid Ihr
schon aufgeregt wegen des Theaters?“, wandte Phil sich geschickt an William, so
musste der Junge sprechen, ansonsten hätte er als schlecht erzogen gegolten.
Erfreut schaute der Kleine zu Phil, nur mit Mühe konnte der Junge ein Lächeln
unterdrücken.
„Oh
ja, ich freue mich! Papa hat mir schon viel davon erzählt. Von den
Schwertkämpfen, den Liedern und den Akrobaten. Wir werden ebenfalls zu Master
Shakespeares Stück gehen. Ich kann es kaum erwarten! Treffe ich Euch dort?“
Sein hoffnungsvolles Gesicht blickte von Phil zu mir. Vermutlich waren wir,
außer seinem Vater, die ersten Menschen in dieser Stadt, die ihm freundlich
begegneten.
„Vielleicht
lässt es sich einrichten. Wir sind am Fluss angekommen, siehst du deinen Vater
schon?“, erwiderte Phil.
„Ja,
der große Mann dort mit dem blauen Umhang, das ist mein Papa.“ Und schon rannte
er wieder los, dieses Mal auf seinen Vater zu, der ihn mit einer herzlichen
Umarmung begrüßte. Wenigstens bei diesem schien er die benötigte Liebe zu
erhalten, die ihm die Amme versagte. Diese seufzte, als sie sah, dass ihr
Schützling sich aufs Neue selbstständig gemacht hatte.
„Ich
wünsche Euch noch einen schönen Tag, auch wenn man in dieser Stadt keinen schönen
Tag haben kann“, verabschiedete sie sich von uns. Wir nahmen ebenfalls Abschied
von ihr und betrachteten die zwei Spencers, wie sie sich unterhielten und dabei
so unbekümmert erschienen und lachten, dass es eine wahre Freude war ihnen zu
zusehen. Die Amme unterdessen stand stocksteif am Rande und schien auf den Tag
des letzten Gerichts zu warten. William drehte sich noch einmal zu uns um und
winkte zum Abschied, dann bestiegen sie eine der unzähligen Fähren und
verschwanden.
„Das
verlief besser als erwartet“, sagte Phil mit selbstzufriedenem Grinsen, ganz
so, als sei ihm alleine der Erfolg zu zuschreiben.
„Gut,
wir sind einen Schritt weiter und jetzt?“ Mich plagten Zweifel, ob wir es auch
schafften, den Mord am kleinen William und seinem Vater zu verhindern. Und,
dass wir das nicht geschehen lassen durften, war, nachdem ich den Kleinen
kennengelernt hatte, zu noch höherer Priorität geworden. Er war ein richtig
niedlicher Kerl und der Gedanke, dass ihm auch nur ein Haar gekrümmt wurde,
schnürte mir den Magen zu.
„Jetzt
werden wir erst mal was zu essen besorgen. Wir haben den ganzen Tag kaum etwas
gegessen, und mir knurrt der Magen!“ Kaum hatte er es gesagt, da ließ auch mein
Bauch ein verdächtiges Knurren von sich.
„Ich
denke, das ist ein Ja gewesen! Komm, wir kehren zurück ins "George
Inn", da wird es etwas für uns geben.“
„Und
warum nicht woanders hin? Es gibt doch bestimmt genügend andere Gasthäuser in
London.“
„Weil
ich nicht möchte, dass du in diese Häuser gehst. Sie sind nichts für anständige
Frauen und so gut kenne mich dann doch nicht in der Stadt aus, als dass ich
sagen könnte, ob es sich bei dem nächsten Haus um eines mit einem guten Ruf
handelt oder nicht.“ Seine Argumente waren nicht von der Hand zu weisen und um
des lieben Friedens willen, fügte ich mich seinem Vorschlag, auch wenn es
bedeutete, dass es sich noch einige Zeit hinziehen würde, bis mein grummelnder
Magen mit Nahrung zum Schweigen gebracht wurde.
Gemeinsam
entfernten wir uns von der Themse, an den Gebäuden des Westminster Palastes und
der Westminster Abbey vorbei. Einige Tavernen säumten den Weg, aber nachdem ich
sah, welche Art von Frau dort ein und ausging und wie sie von den Männern
behandelt wurden, musste auch ich mir eingestehen, dass Phils
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