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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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glockenhelles Lachen von Frau Göring, und auch Lexi nimmt es nicht übel und kommt erfreut auf mich zu. »Da ist ja mein Knöpfchen!«, begrüßt sie mich.
    »Klexchen!«, stoße ich erschrocken hervor und mir wird ganz warm vor Enttäuschung.
    Lexi lacht mich an. »Ich hab’s nicht vergessen«, sagt sie. »Aber deine Knopfaugen sprechen Bände. Ich sehe schrecklich aus, nicht wahr? Sturzflüge sind eine Katastrophe für die Gesundheit. Der Blutkreislauf dreht durch, die Gesichtshaut flattert dir um die Ohren und der Magen wickelt sich um die Wirbelsäule.«
    Ich gebe ihr einen Schubs. Sie schubst zurück. Am liebsten würde ich heulen – vor Freude, sie wiederzusehen, aber auch weil Visionen von duftenden, gebratenen Kaninchenteilen vor meinen Augen zu flimmern beginnen, die Mutter und Olesia sich ohne mich schmecken lassen werden. Zwar blieben der gestrige Tag und selbst die Nacht ohne Angriff, doch in den Geschäften gab es an diesem Morgen so gut wie nichts. Der gesamte Schienenverkehr ist bereits den zweiten Tag unterbrochen, zerlumpte Trupps aus Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern werden zu Fuß durch die Stadt marschiert, um die Verkehrswege instand zu setzen.
    »Hoffentlich haben wir bald wieder Strom, damit wir es braten können!« Mutter starrt wie hypnotisiert auf das blutige Kaninchen. »Dass es bloß nicht verdirbt!«
    »Hast du eine Grillgabel?«, erwidert Lexi, und als Mutter nickt: »Steck es drauf und häng es im Hof übers Feuer.«
    »Im Hof? Wo es jeder mitbekommt?«
    »Warum nicht? Es ist nicht verboten, im Freien zu grillen.«
    Lexi sieht fragend zu Emmy Göring und die greift sich an die Brust, als wolle sie sagen: Woher soll ich das wissen? »Sie grillen ja nicht Nachbars Katze«, meint sie etwas betreten.
    »Aber die Nachbarn werden mitessen wollen, dann wird niemand von uns satt«, gibt Mutter zu bedenken. »Ich mache das Feuer besser in der Küche. Wir werden schon nicht in Flammen aufgehen.«
    Sie starrt in die Tasche und schluckt ein, zwei Mal, als müsse sie gegen plötzliche Übelkeit kämpfen. »Wie scheußlich von mir«, sagt sie. »So weit ist es schon gekommen.«
    Emmy Göring zieht sich schnell wieder aufs Anpassbänkchen zurück; so viel Kontakt mit den Nöten des Volkes will sie nun auch wieder nicht.
    »Wollen wir, Klexchen ...?«, fragt Lexi. »Je eher wir in die Luft kommen, desto mehr Platz haben wir da oben.«
    »Du gehst kein Risiko ein, nicht wahr?«, fleht Mutter.
    »Ganz bestimmt nicht. Ich höre vorher per Funk, ob feindliche Flieger in der Luft sind.«
    »Und du fliegst ganz niedrig, hast du gesagt?«
    »Zweihundert Meter vielleicht. Wir sind im Nu unten, wenn es sein muss.«
    Nicht, dass ich Angst hätte! Auf keinen Fall! Mir wäre nur lieber, Mutter würde aufhören, noch genauer zu fragen. Ich starre auf die Abzeichen an Lexis Jacke und nehme zu meinem eigenen Wohl einfach an, dass jemand, die als eine von nur zwei Frauen in Deutschland das Eiserne Kreuz und das Flugzeugführerabzeichen in Gold mit Brillanten und Rubinen trägt, weiß, was sie tut.
    »Fritzi ist alles, was ich habe«, sagt Mutter bebend.
    Ich traue meinen Ohren nicht. Sie hat es gesagt! Sie hat endlich gesagt, worauf ich seit zwei Jahren warte! Ich bin so überrumpelt, dass ich brumme: »Vater hast du doch auch noch!«, und Mutter sich sofort von ihrer Ergriffenheit erholt und sagt: »Stimmt.«
    Emmy Göring erklärt feierlich: »Frau Bredemer, wenn ich irgendjemandem meine Edda anvertrauen müsste ... ! «
    »Sei unbesorgt, Almut.« Lexi gibt Mutter einen Kuss. »Ich werde tun, als sei Fritzi alles, was ich habe.«
    Und mein ganzes Ich öffnet und schließt sich augenblicklich um diese Bemerkung, atmet sie ein und lässt sie nicht mehr heraus. Eine habe ich verschossen, auf die zweite werde ich achtgeben! Lexi, die keine Kinder hat, kann gar nicht wissen, was man mit solchen Worten anrichtet.
    Der Abschied geht schnell, zu schnell. Den Fuß schon im Beiwagen, möchte ich ihn am liebsten noch einmal herausziehen und zurück in den Laden rennen, um Mutter ein zweites Mal zu umarmen. Sie hat es gesagt! Ändert das nicht alles? Mir ist, als wäre ein Damm gebrochen, nur leider in einem völlig unpassenden Moment.
    Mein Fuß schwebt über dem Beiwagen. Mutter oder Lexi? Berlin oder Lautlitz? Keller oder Flugzeug? Nein, es hilft nichts, ich laufe zurück! Lexi soll mich ein andermal mitnehmen!
    Zu spät. Plötzlich habe ich eine böse Stimme im Rücken: »Da fahren sie im dicken Wagen durch die Gegend

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