Eisblume
erst …«
»Halt … halt, Daniel!« Branders Stimme zitterte besorgt. »Es tut mir leid. Das sollte kein Vorwurf sein.« Er wollte seinen Bruder nicht mit noch mehr Schuldgefühlen belasten. Hätte, wäre, wenn – es half nicht, darüber zu diskutieren, was man hätte machen können. Sie mussten einen Weg finden, die gegenwärtige Situation wieder in den Griff zu bekommen.
»Ich war einfach überfordert mit der Situation. Verstehst du das nicht?«
»Doch … ich denke schon. Daniel, ich wollte dir wirklich keinen Vorwurf machen. Ich bin für dich da. Wenn irgendetwas ist, wenn ich irgendwie helfen kann, sag es einfach.«
»Danke.« Daniel wurde wieder ruhiger. »Aber ich muss erst einmal mit mir klarkommen und mit Babs … und mit Julian.«
»Würde es dir nicht vielleicht doch helfen, wenn ich …«
»Nein, sei nicht böse, aber ich hätte ständig das Gefühl, mich vor dir rechtfertigen zu müssen, dir erklären zu müssen, warum dieses oder jenes passiert ist. Weißt du, du und Ceci, ihr seid zwei so starke Menschen. Ihr macht beide euer Ding. Alles ist bei euch gut. Und bei uns läuft alles immer etwas chaotischer und nicht so geradlinig.«
»Bei uns läuft es auch nicht immer geradeaus«, entgegnete Brander. Was wusste Daniel von den Problemen, die er und Cecilia schon durchgestanden hatten? So gut wie nichts. Natürlich hatte er mit Daniel über die Problematik gesprochen, dass er und Cecilia keine Kinder bekommen konnten. Was das aber genau für ihn und Cecilia bedeutet hatte, in welch tiefe Krise es seine Frau und auch ihn gestürzt hatte, darüber hatte er nie mit ihm gesprochen. Warum nicht? Es schien ihm zu anstrengend, zu aufwühlend, sich jetzt darüber Gedanken zu machen. Das Thema war durch, vorbei. Die Krise überstanden. Sie hatten einen anderen Weg gefunden, mit der Situation trotzdem glücklich zu werden.
»Gibt es denn nichts, was ich für euch tun kann?«
»Deswegen rufe ich eigentlich an. Es geht um Julian. Er … er hat total zugemacht, spricht nicht mehr mit mir, hängt den ganzen Tag auf seinem Zimmer rum. Er weigert sich sogar, mit uns zusammen zu essen. Mutti bringt ihm das Essen auf sein Zimmer. Von ihr lässt er sich wenigstens auch mal in den Arm nehmen. Aber ansonsten mauert er. Mit dir spricht er wenigstens.«
»Na ja, nicht wirklich«, gab Brander zu bedenken. Julian gab einen bockigen Satz von sich und legte dann meistens sofort auf.
»Bitte ruf ihn trotzdem weiter an.«
»Hast du etwas anderes von mir erwartet? Natürlich rufe ich ihn weiter an. Und dich auch.«
»Danke.«
Brander blieb im Konferenzraum sitzen, starrte aus dem Fenster und versuchte, zu verstehen, was sein Bruder ihm gerade berichtet hatte. All die Jahre hatten sie nichts von Barbaras Problemen gemerkt. Wie viel Kraft musste es sie gekostet haben, diese Seite vor ihnen zu verbergen. Und warum? Warum war da kein Vertrauen zwischen ihnen? Kein Vertrauen, dass sie zu ihr stehen würden, dass sie versuchen würden, ihr zu helfen. War denn alles nur ein Schein aus glücklicher Familie à la Hollywood-Traumfabrik? Schöne, heile Welt.
Es war schon dunkel, als es an der Tür klopfte und kurz darauf Peppi im Raum stand. Sie schaltete die Deckenbeleuchtung ein. Brander wandte den Kopf in ihre Richtung, blinzelte bei der plötzlichen Helligkeit. Nach einem Blick in sein Gesicht schloss Peppi die Tür hinter sich, lehnte sich mit dem Rücken dagegen, um zu verhindern, dass sie gestört wurden.
»Was ist los, Andi?«
Brander schüttelte den Kopf. Auch wenn er der Kollegin sehr vertraute, ihm war nicht nach reden. Dennoch tat es gut, dass Peppi hereingekommen war und ihn aus seinen trüben Gedanken herausriss. Sie blieb unschlüssig an der Tür stehen.
»Hattest du schon mal das Gefühl, versagt zu haben?«, fragte er schließlich in die Stille hinein.
»Ich? Oh ja, das letzte Mal ungefähr vor fünf oder sechs Stunden«, erinnerte Peppi ihn an die Befragung von Andreas Drewitz.
»Ach das«, winkte Brander ab.
»Nichts ›Ach das‹.« Es kam ungewohnt ruhig von seiner sonst so energischen Kollegin. Sie gab ihren Posten an der Tür auf und setzte sich neben Brander.
»Weißt du, warum ich Polizistin geworden bin?« Sie sah zu ihm. Er schüttelte den Kopf.
»Ich war damals knapp zwanzig und hatte angefangen zu studieren. Sprachen und Sport. Wir waren ein ziemlich bunter Haufen. Eines Abends brachten mich zwei Freunde von einem Treffen nach Hause. Und da stellten sich uns ein paar Drewitz-Typen in den
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