Eiszeit
beim Aussteigen. Er hakte sich bei ihr unter und setzte sich unsicher in Bewegung. Seinen Kopf hatte sie mit ein paar Mullbinden umwickelt, sonst wäre er nicht aus dem Haus gegangen. Ihren Vorschlag, den Rettungswagen zu rufen und sich bringen zu lassen, hatte er kategorisch abgelehnt. Und er hatte darauf bestanden, die Welt über die wahre Herkunft seiner Verletzungen zu belügen.
»Denk bitte daran, was wir besprochen haben, Veronika«, flüsterte er, als ihnen die automatische Doppeltür am Eingang der Notfallambulanz entgegenschwang . »Denk an uns, unsere Kinder und unser Enkelkind.«
Sie blieb stehen, sah ihn mit funkelnden Augen an und ging, ohne zu antworten, weiter. Die beiden folgten den Hinweisschildern zur chirurgischen Notfallambulanz. Dort klopfte Veronika Lappert an eine Tür. Es dauerte einen Moment, bis geöffnet wurde, dann tauchte eine gähnende Krankenschwester auf.
»Ja, bitte?«
»Mein Mann ist im Gesicht verletzt. Könnte bitte ein Arzt nach ihm sehen?«
»Waren sie schon am Annahmeschalter?«
»Nein. Meinem Mann geht es sehr schlecht. Könnten Sie vielleicht zuerst einem Arzt Bescheid sagen, den Rest können wir doch sicher später auch noch erledigen.«
Die Schwester betrachtete Lappert und seinen Verband.
»Was ist denn passiert? Ist es eine Verbrennung?«
Lappert schüttelte vorsichtig den Kopf.
»Nein, keine Verbrennung«, erklärte seine Frau. »Es ist …, wir sind …« Sie stockte.
»So einfach geht das leider nicht«, wurde sie von der Frau in Weiß belehrt. »Wenn es sich nicht um einen ganz akuten Notfall handelt, müssen Sie zuerst …«
Weiter kam sie nicht, weil in diesem Moment ein Arzt neben ihr auftauchte. »Lass gut sein, Petra, ich kümmere mich kurz darum.« Dann wandte er sich an Lappert , drückte ihm die Hand und bat ihn ins Behandlungszimmer.
»Doktor Rainer, guten Tag. Setzen Sie sich doch bitte. Was ist denn passiert?«
»Wenn Sie den Verband abnehmen würden, Herr Doktor, dann sehen Sie schon«, versuchte Veronika Lappert eine Erklärung. Der Mediziner bat ihren Mann, auf der Liege Platz zu nehmen, öffnete die erste Binde und wurde blass. Mit fliegenden Fingern legte er Lapperts Kopf frei, sah von ihm zu seiner Frau und wieder zurück.
»Was ist denn mit Ihnen passiert? Das ist doch … Nein, das kann unmöglich sein.«
»Doch, genau das ist es. Wir sind heute Nacht überfallen worden. Das, was Sie hier sehen, haben mir zwei Männer angetan, die mich und meine Frau überfallen und ausgeraubt haben.«
Der Arzt schaute ungläubig zu Veronika Lappert . »Warum haben die das gemacht? Das ist doch un …« Er beendete den Satz nicht.
»Ich muss einen Dermatologen hinzuziehen. Bitte legen Sie sich hin, ich bin in ein paar Minuten zurück. Petra, du versuchst, das getrocknete Blut runterzukriegen, aber sei bitte ganz vorsichtig«, trug er der Krankenschwester auf. »Am besten nimmst du Kamillenlösung, auf keinen Fall Alkohol«, setzte er hinzu und war auch schon aus der Tür.
*
Heinrich Lappert stöhnte jedes Mal auf, wenn die Schwester mit dem Tupfer sein Gesicht berührte. Die junge Frau gab sich alle Mühe, ihn so schonend wie möglich zu behandeln, doch die Schmerzen konnte sie ihm nicht nehmen. Sie hatte seine Stirn gesäubert und war mit der rechten Gesichtshälfte beschäftigt, als der Arzt wieder ins Zimmer stürmte, begleitet von einer Frau und einem Mann, ebenfalls in Weiß. Die Frau beugte sich sofort über Lappert und sah ihn dabei aufmunternd an. »Anne Schwaiger, guten Tag, Herr …?
» Lappert . Heinrich Lappert .«
»Herr Lappert , ich bin Dermatologin. Hautärztin. Wir wollen Ihnen helfen, so gut Ihre Verletzungen das zu diesem Zeitpunkt zulassen. Dazu muss ich ein paar Untersuchungen durchführen und kann Ihnen nicht versprechen, dass das schmerzfrei über die Bühne geht. Möchten Sie, dass wir Sie unter Narkose setzen, damit Sie die Schmerzen nicht spüren?«
»Nein«, erwiderte er mit fester Stimme. »Machen Sie, was nötig ist. Wenn es wirklich zu schmerzhaft werden sollte, gebe ich Bescheid.«
»Gut. Ich greife jetzt hinter Ihr linkes Ohr, um die Haut in Ihrem Gesicht ein wenig unter Spannung zu setzen. Sie sagen bitte wirklich Bescheid, wenn die Schmerzen zu stark werden.«
Er nickte. Die Frau bewegte ihre rechte Hand hinter seinen Kopf und umschloss den Hals oberhalb des Haaransatzes. Dann beugte sie Daumen und Zeigefinger und spannte so seine Gesichtshaut. Lappert zuckte zusammen. Die Ärztin griff mit der
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