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Elfenlicht

Elfenlicht

Titel: Elfenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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durch die Vorkammer des Fürstengrabes gegangen war. Das Blut auf dem Boden hätte ihn eigentlich stutzig machen müssen. Nicht das frische Büffelblut, sondern das eingetrocknete unter den toten Kriegern. Sie hatten noch gelebt, als sie hierher gekommen waren. Und die Speere, die sie abstützten, damit ihre Oberkörper nicht im Tode nach vorne kippten, hatten sie sich selbst in den Leib gestoßen.
    Nestheus trat aus der Kammer, in die man seinen Vater gebracht hatte. Sein Blick war hart. Die Monde in den Eissteppen, gehetzt wie ein Wild, hatten ihn verändert. »Ich möchte euch bitten, das Grab zu verlassen, meine Gefährten.« Obwohl die Worte höflich gewählt waren, ließ sein Tonfall keinen Zweifel aufkommen, dass dies ein Befehl war.
    Die Kentauren zogen sich zu dem abschüssigen Weg zurück, der hinauf in den Winter führte. Melvyn war froh, das Grab verlassen zu können. Er dachte wieder an den Flecken Büffelblut. Woher kam dieses Blut? Der Weihrauch kratzte ihm in der Kehle. Das Grab war zu gründlich ausgeräuchert worden, ganz so, als wolle man mit dem hellblauen Rauch einen anderen Duft überdecken.
    »Melvyn, warte auf mich. Bleib hier im Grab!« Der Wolfself drehte sich überrascht um. Katander, der als Letzter in der Reihe der Kentauren ging, hatte die Worte ebenfalls gehört. Er sah zurück, und eine steile Zornesfalte klaffte zwischen seinen dichten Brauen. Dann ging er weiter und war bald hinter der Biegung des Grabtunnels verschwunden.
    Nestheus stand neben Senthor. Der alte Kentaur hatte dem jungen Fürsten die Linke gereicht. Die Herzhand. Mit der Rechten hielt er den Speerschaft umfasst. Das Bronzeblatt zielte auf sein Herz. Die beiden sahen einander schweigend an. Die Lippen des Alten bewegten sich, doch er sprach so leise, dass Melvyn ihn nicht verstehen konnte.
    Plötzlich ließ sich Senthor nach vorne kippen. Er stieß einen langen Seufzer aus. Einen Laut wie ein erleichtertes Ausatmen, als das Bronzeblatt des Speers in seiner Brust verschwand. Ströme dunklen Bluts spritzten aus der Wunde. Sie besprenkelten den weißen Kentaurenfürsten und rannen auch den Speerschaft hinab. Unter dem Sterbenden bildete sich eine rasch größer werdende Blutlache wie bei den anderen Waffenbrüdern, die ihren Fürsten auf dem Weg in die Dunkelheit gefolgt waren.
    Es dauerte lange, bis der Blutstrom versiegte. Bis zuletzt hielt Nestheus die Hand des alten Kriegers. Endlich löste er seine Finger aus der Umklammerung des Toten. »Wir werden uns wieder sehen am Tag der letzten Schlacht. Es wird mir eine Ehre sein, Seite an Seite mit dir und meinem Vater zu fechten.«
    Im verlassenen Grab klang der Hufschlag des Fürsten unnatürlich laut, als er auf Melvyn zukam. »Ich danke dir, dass du noch geblieben bist.«
    Melvyn nickte knapp. Er war eigentlich nicht zimperlich, aber ihm wäre es lieber gewesen, nicht zum Zeugen dieses sinnlosen Todes zu werden.
    Nestheus schien seine Gedanken zu erraten. »Nun hältst du uns für grausame Barbaren, nicht wahr?«
    »Er war ein starker Krieger. Er hätte sicher noch viele Jahre zu leben gehabt.«
    »Er hätte die Bitte meines Vaters nicht zurückweisen können. Es ist eine große Ehre, von seinem Fürsten eingeladen zu werden, ihm in den Tod zu folgen.«
    »Was für eine Belohnung!«, sagte Melvyn wütend. »Zum Lohn für seine Treue mit dem Befehl zum Selbstmord beschenkt zu werden. Wirst du auch so ein Tyrann werden, nun, da du Fürst bist?«
    Nestheus lächelte zynisch. »Keine Sorge, ich werde dich nicht hierher einladen, wenn meine Stunde naht. Und was meinen Vater angeht, glaube ich nicht, dass du ihn wirklich gekannt hast. Ihr mögt am Mordstein und anderswo zusammen gekämpft haben, aber seiner Seele bist du dabei nicht nahe gekommen.«
    »In der Tat nicht! Dass er dir Mörder auf den Hals hetzt, hätte ich niemals für möglich gehalten. In den letzten Monden habe ich vieles über dein Volk gelernt. Ich begreife jetzt, warum die Elfen die Nase über euch rümpfen.«
    »So, du begreifst ...«, sagte Nestheus traurig. »Ich glaube nicht. Ich werde dir jetzt ein Geheimnis anvertrauen, das dieses Grab nicht verlassen darf. Ein Geheimnis, das ich nicht einmal mit meinem Weib geteilt habe, obwohl ich glaube, dass sie die Wahrheit ahnt. Mein Vater war ein Mistkerl, aber einer, der sein Herz am rechten Fleck trug. Er war besessen von der Idee, dass alle Kentauren unter der Führung eines Kriegsherrn kämpfen sollten. Die endlosen Fehden zwischen unseren Stämmen, die

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