Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin
Füßen, während das restliche Wasser sich verflüchtigte. Auch ihr eben noch aufgedunsener Körper schmolz zu seiner alten Form und Festigkeit zusammen. Schlussendlich stand sie trocken und heil in einem großen, sanft erleuchteten Raum. Nur das Lachen war geblieben und hallte von den meterhohen Wänden wider. Vielleicht war es den seltsamen Gelüsten als Schwangere zu verdanken, dass sie es hierher geschafft hatte, vielleicht war die Lösung auch nur in der absurdesten aller Kombinationen versteckt gewesen, so oder so hatte ihr Sohn ihr erneut in der Not beigestanden.
Allmählich begriff Nadja, weswegen das Kind von so großer Bedeutung für alle Elfen war. Und sie bekam unwillkürlich Angst … doch sie durfte nicht abschweifen.
Nadja sah sich um. War sie, ohne es recht zu merken, endlich angekommen, oder ging das Spiel weiter? Der leere Raum füllte sich allmählich mit Einrichtung. Schwere Teppiche bedeckten jetzt den Boden, vollgestopfte Bücherregale drängten sich an den Seiten, alte Ohrensessel und kleine Rundtische mit Leselampen darauf erschienen und bildeten gemeinsam mit den Deckenlüstern und Fresken eine warme, fast heimelige Atmosphäre. Ein typisches altertümliches Bibliothekszimmer, hätte nicht am Ende des länglichen Raumes ein riesenhafter weißer Pfau in einer Kuhle gehockt und geschlafen.
Während Nadja langsam und misstrauisch näher ging, tauchten weitere Gegenstände auf. Kleine Bronzestatuen auf hüfthohen Säulen: tanzende Elfenfiguren, aber auch andere Fabelwesen, Menschen, Tiere und sogar Bäume. In goldenen, kunstvoll geschwungenen Lettern prangten nacheinander vier Worte an den Deckenborten: Erde – Feuer – Luft – Wasser. Auch gegenüber erschienen Buchstaben, die sich zu Sinngruppen fügten: Riechen – Sehen – Tasten – Schmecken. Diese vier Prüfungen hatte Nadja offenbar erfolgreich hinter sich gelassen. Sie wollte dem Frieden aber nicht so recht trauen. Und wie es schien, zu Recht.
Bevor sie den weißen Pfau erreichte, zog sich eine rotsamtene Kordel, von goldenen Ständern gehalten, quer in den Weg. Davor erschien, umwölkt von einem flüchtigen glitzernden Nebel, ein Pult mit einem Buch, und darauf stand: Arkasha.
Nadja blieb stehen und starrte ungläubig auf den Titel. Sollte wirklich die sagenumwobene Arkasha-Chronik vor ihr liegen? Die Weltenbibliothek, Buch des Lebens, Gedächtnis der Seelen – jenes Werk, in dem angeblich Vergangenheit und Zukunft aller Wesen verzeichnet waren?
Die Versuchung kochte in ihr hoch. Sie strich mit der Hand vorsichtig über den ledernen Einband, fuhr die Schrift nach und glitt dann seitlich die mehrere tausend Pergamentblätter entlang. Der Nebel strich über ihre Hand hinweg und schien über dem Buch zu verharren.
Nur ein schneller Blick? Ein kurzer Satz, um zu erfahren, wie es um David und die anderen stand? Nadja biss sich auf die Lippen. In jeder, wirklich jeder Geschichte, in der der Protagonist einen Blick in die Zukunft warf, musste er am Ende dafür büßen. Und doch barg diese Gelegenheit so viele wundervolle Chancen.
Wenn sie nur ein wenig vorblättern und sehen könnte, wie sie in ihre Welt zurückfinden, wie der Krieg zwischen Fanmór und Bandorchu enden und die Suche nach der Unsterblichkeit ausgehen würde! Ein kleiner Blick auf ihren geborenen Sohn.
Sie sah sich um. Niemand war da, der sie davon abhalten konnte. Der Pfau lag reglos und schien zu schlafen. Ihre Finger schoben sich unter den schweren Buchdeckel und hoben ihn ein kleines Stückchen an. Immer noch blieb sie unbehelligt – keine Wachen oder bösen Geister, die sich auf sie stürzten.
Und wenn mir das, was ich lese, nicht gefällt?
Sie zögerte. Würde sie schlechte Nachrichten ertragen können? Bei der Vorstellung, mit der Gewissheit weiterzuleben, die Dunkle Königin werde Menschen und Elfen unterwerfen und versklaven, zog eine Gänsehaut über ihre Arme. Konnte man die Zukunft ändern, wenn man sie kannte? Die uralte Frage zog Kreise in ihren Gedanken, und sie sah schließlich ein, dass, auch wenn es möglich wäre, die Folgen unkalkulierbar waren. Schon die winzigste Änderung im Verlauf der Zeit konnte so viel anderes möglich machen oder aber verhindern.
»Solch eine Verantwortung kann ich nicht tragen«, sagte sie laut, zog ihre Hand zurück und atmete tief durch. Und wie zur Bestätigung durchlief ein wohliger Schauer ihren Körper; erneut erklang Talamhs lachende Stimme.
Das Pult samt Buch löste sich langsam auf, genau wie der Rest des
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