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Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin

Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin

Titel: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Paradigi
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untergekommen, was nach Amerikaner oder Gräfin geschmeckt hätte, falls du das meinst.« Es war eine kleine Lüge, aber Anne hatte kein Verlangen danach, ihrem alten Freund zu erklären, warum sie ihre Energie seit einigen Jahren meist nur noch aus Blutkonserven schöpfte.
    Die reine Lust am Töten und Aussaugen hatte sie längst verloren. Speziell auf der Insel achtete sie für gewöhnlich darauf, keine reißerischen Schlagzeilen in den Zeitungen zu produzieren und Scotland Yard auf den Plan zu rufen. Nicht aus Angst, sondern aus Bequemlichkeit. Sie hatte sich dort gut eingelebt, eine Identität aufgebaut und sich ein nettes Leben eingerichtet. Starke Kraftlinien umgaben ihren Wohnort, und seine magische Vergangenheit schimmerte an manchen Tagen durch die Nebelschleier. Aber das alles wollte sie Lorec nicht erzählen. Als ewig Verfluchter musste er bis an das Weltenende in Höhlen hausen, versteckt und einsam. Es half nicht, wenn sie ihm von ihrem Dasein berichtete.
    Eine Weile lang saßen sie schweigend nebeneinander und starrten in die Nacht hinaus. Als Unsterbliche verlor man irgendwann den Drang, dauernd reden zu müssen. Wer genug Zeit in der Stille verbrachte, lernte, dass man auch auf anderem Wege Dinge mitteilen konnte. Schon ihre reine Anwesenheit spendete Lorec Trost, das wusste Anne. Und auch ihr schenkte die Erneuerung des alten Freundschaftsbandes ein Gefühl von Wärme.
    Während sie einer vorbeihuschenden Maus hinterherblickte, überlegte sie, ob Lorec sich wohl nach dem Tod sehnte. Ob er dieses Leben leid war? Sie selbst hatte durchaus derartige Zeiten durchlebt – Phasen, in denen alles sinnlos wirkte und ihr das Leben nur mehr wie eine Wiederholung bereits erlebter Szenen erschienen war. Wie ein immerwährendes Déjà-vu.
    Ihre Bestimmung als Muse war ihr damals wertlos vorgekommen. Die Menschen hatten begonnen, ihre Träume immer ungenierter auszuleben. Anfang der siebziger Jahre schien niemand mehr eine Muse zu brauchen, um sein verstecktes Talent an die Oberfläche zu kehren. Die ganze Welt hatte sich an ihrer neu entdeckten Freiheit berauscht. Emanzipation, sexuelle Revolution und die Hippie-Welle waren die Trends der Zeit gewesen. Aus unterdrückten Arbeitern wurden Parteimitglieder der Gewerkschaften und Mittelstandsmenschen. Klassenunterschiede verwischten und machten Platz für eine neue, alles vereinnahmende Bürgerlichkeit. Wer etwas sagen wollte, breitete seine Weisheiten ungeniert vor einem Pulk aus. Ganz egal, wo er sich gerade befand.
    Zu jener Zeit hatte Chagall bereits in New York gelebt. Marc war über neunzig Jahre alt gewesen und hatte immer noch wie ein Besessener gearbeitet, doch Anne war das Gefühl nicht losgeworden, dass er das auch ohne ihren Einfluss getan hätte.
    Aber solche Bedenken kamen und gingen. Die Menschheit suchte sich stets neue Beschränkungen und Diktatoren, die ihr Dasein beschwerten – ganz automatisch, als gehöre es zum Leben dazu. Je mehr die Einzelnen nach Selbstverwirklichung strebten oder ihrem Heiligen Gral hinterherrannten, desto mehr ging es mit ihrem Werteempfinden bergab. Nichts war mehr gut genug. Hatte der Nachbar ein teures Auto, mussten Sonderschichten eingelegt werden oder die Frau putzen gehen, um im gesellschaftlichen Wettlauf mitzuhalten. Kinder und Familie verloren an Bedeutung, waren nur noch Fassade für den aufblühenden Egoismus. Und das nicht nur bei den Männern.
    Mitte der neunziger Jahre, als Marc Chagall schließlich gestorben war, hatte Anne eine junge Geigerin an die Hand genommen, um sie zu Erfolg und Weltruhm zu führen. Doch die unersättliche Gier, immer noch besser und perfekter zu werden, hatte die Kleine frühzeitig in den Wahnsinn getrieben. Genau wie Jahre zuvor der Maler hätte dieses Mädchen seine Seele für die Unsterblichkeit verkauft. Doch Anne hatte ihre Grundsätze.
    Ihr Biss und ihr Blut brachten nicht nur unbegrenzte Lebenszeit mit sich. Sie gaben Dunkelheit und Kälte, wo vorher Lebenslust und Wärme den menschlichen Körper durchströmt hatten. Ohne Kenntnis eingesetzt, bedeutete ihr dunkles Geschenk den Tod. Wäre Tanner allein, hätte er die Gräfin mit seinen Künsten wahrscheinlich endgültig umgebracht, statt sie zu erwecken. Alebin musste also nachgeholfen haben. Nur warum, verstand Anne immer noch nicht. Wieso mischte sich ein Unsterblicher in die Geschicke der Sterblichen ein? Alebin war geächtet, für tabu erklärt, also tat er es nicht im Auftrag der Dunklen Königin. Oder wollte er sich

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