Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes - Thurner, M: Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes
längst entlassen.« Er lachte. »Was halten Sie davon, wenn wir gemeinsam ein spätes Abendmahl zu uns nehmen? Sie sehen hungrig aus, und ich könnte einen ganzen Hirsch verschlingen.«
»Das ... das kommt überraschend. Eigentlich wollte ich mich lediglich ein wenig mit Ihnen unterhalten.«
»Passt ausgezeichnet! Wo spricht es sich besser als bei einem Essen, einem guten Tropfen und in entspannter Atmosphäre? Ich habe mir erlaubt, einen Tisch im
Eborachonn
reservieren zu lassen; einem der besten Restaurants der Stadt, das sicherlich auch für Ihren kontinentalen Geschmack einiges zu bieten hat. Wenn Sie sich umziehen wollen, wird sich Miss Chalke um eine passende Garderobe kümmern.« Noch immer kämpfte er mit seinem Hemd, das vom muskulösen Oberkörper gesprengt zu werden drohte. Er schnippte beiläufig mit den Fingern. Seine Assistentin, die mehrere Schritte hinter Nadja gewartet hatte, nickte und verließ das Zelt.
O’Gill überrollte sie! Es war nicht nur seine körperliche Präsenz, die Nadja drückend spürte. Er schien ihr mit all seinen Gedanken einen Schritt voraus zu sein, ihre Argumente vorhersehen zu können und stets passende Antworten bereitliegen zu haben. Sie musste sich wehren, konnte nicht zulassen, dass er mit ihr umging wie mit einer beliebigen dummen, kleinen Pute, die er abzuschleppen gedachte.
»Ich freue mich über Ihre Einladung zum Abendessen, Mister O’Gill«, hörte sie sich sagen. »Ich bin es allerdings gewohnt, meine Rechnungen selbst zu bezahlen.« Nadja dachte an die wenigen verbliebenen Pfundnoten in ihrer Brieftasche. »Mir wäre es recht, wenn wir uns am Buffet verköstigten und im Backstage-Bereich blieben.«
Er sah sie verblüfft an – und begann mit nach hinten gebeugtem Kopf lauthals zu lachen. »Entzückend!«, sagte er schließlich. »Ihr Frauen vom Kontinent besitzt wirklich einen ganz eigenen Charme.« Wieder ganz ernst geworden, fügte er hinzu: »Ich entschuldige mich, sollte ich Sie mit meinem Angebot beleidigt haben. Sie haben mich möglicherweise missverstanden. Ich bin keinesfalls auf eine vergnügliche Unterhaltung für die Nachtstunden aus. Seit Wochen beschäftige ich mich mit den Vorbereitungen für das Guy-Fawkes-Festival und bin ständig von denselben Leuten umgeben: Mitarbeitern, Organisatoren, Honoratioren und Wichtigmachern. Ich bin in jeder Hinsicht ein freiheitsliebender Mann und fühle mich durch diese ungewohnte Arbeit äußerst eingeengt.«
Er trat näher und blickte auf sie hinab. »Ich durfte beobachten, wie Sie mit Ihrer erfrischenden Art versuchten, sich an Patreagh vorbeizuschmuggeln. Sie stellen für mich gewissermaßen einen Lichtblick im grauen Einerlei der letzten Wochen dar.« Er schob die Arme in die Höhe und streckte sich. »Meine Pflichten hier sind erledigt, und ich freue mich darauf, endlich einmal etwas anderes zu sehen als Konferenzräume und Werbebüros.«
Darby O’Gill hatte ein außergewöhnliches Aftershave aufgetragen. Es roch nach Moschus, nach Natur, nach endlosen Weiten. Nadja musste an sich halten, um nicht noch näher an ihn zu rücken und ihn mit weit geöffneten Nüstern zu beschnüffeln.
»Sie wissen, wer ich bin?«, fragte sie.
»Man hat mir die notwendigen Informationen zugetragen. Miss Nadja Oreso, freischaffende Journalistin mit einem außergewöhnlich guten Ruf für eine Vertreterin dieser Branche.«
»Danke sehr. – Sie sind sich also des Zwecks meines Besuches bewusst?«
»Selbstverständlich. Ich bin gerne bereit, Ihnen ein längeres Interview zu geben,
wenn
...«
»Ja?«
»...
wenn
Sie mir erlauben, Sie zum Essen einzuladen. Sosehr dies ihrem Ehrenkodex auch widerspricht.«
Seine Worte hörten sich grundehrlich an. Da klang tatsächlich der Widerwille gegen Büroarbeit durch und der Wunsch, endlich wieder einmal aus den Fesseln des Alltags auszubrechen, um einen Abend zu genießen, ohne über das Morgen nachdenken zu müssen. Nadja schloss die Augen und überlegte. Ja. Sie würde für heute eines ihrer Prinzipien über Bord werfen und Arbeit mit Vergnügen mischen.
»Ich bin einverstanden«, sagte sie und lächelte.
Das Eborachonn befand sich in der Nähe des
Bootham Bar
, eines der vier großen Tore der mittelalterlichen Stadtmauer, die die Yorker Altstadt umrahmte. Lediglich ein kleines, im Wind schaukelndes und quietschendes Schild wies auf die Existenz des Restaurants hin. Der Snickelway, der am Lokal vorbeiführte, war gut versteckt und wirkte wie ein Hauszugang. Nadja wäre mit
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