Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes - Thurner, M: Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes
Bestätigung griffen lange, dünne Schattenfinger über die versammelte Menge, ließen die Verbannten kollektiv stöhnen und erschaudern. Manche verdrehten die Augen, ein Basilisk würgte halb verdaute Strohbüschel hoch.
»Wir wurden hierher verbannt; unsere einzige ... Schuld besteht darin, die Verlierer eines Kampfes zu sein.« Gwynbaen nickte mehreren ihrer Untergebenen zu, als wollte sie sich für deren Treue bedanken. Gofannon ließ sie bei diesen Höflichkeitskundgebungen tunlichst außen vor. »Unser Weg ist aber noch lange nicht zu Ende! Fanmór mag sich im Licht des Erfolges sonnen und die Elfenwelt eine Zeit lang nach seinen Vorstellungen gestalten. Ich aber garantiere euch: Wir werden zurückkehren, und wir werden uns für all die Schmach und das Leid rächen, das wir nunmehr erdulden müssen!«
Viele ihrer Getreuen nickten, manche murmelten Treueschwüre. Ein Kentaur stellte sich müde auf seine Hinterbeine und meinte: »Das sind schöne Worte, Königin, und ich spüre die Hoffnung in meinem Herzen. Aber wie, so frage ich mich, sollen wir überleben? Wie können wir uns gegen Spiegelflächen und Wolkenschatten wehren?«
Gofannon beobachtete ganz genau die Reaktion der Königin. Gwynbaen presste die Lippen zusammen, bis sie jegliche Farbe verloren. Noch vor Stunden hätte sie den Kentauren mit einem Wink ihrer Hand getötet; nun aber war sie zu schwach dazu.
»Ich konnte, so wie ihr, nichts in die Schattenwelt herüberretten, was uns nun weiterhelfen würde. Nichts – außer hilfreichem Wissen.« Sie deutete an ihre Schläfe. »Ich weiß von Dingen, die mir Mut machen. Schließlich sind wir nicht die Ersten, die hierher verbannt wurden. Es gibt mögliche Verbündete, die uns helfen können. Sie müssen nahe sein. Deshalb seid wachsam: Vom ersten Moment an werden wir ihnen deutlich machen, wer von nun an hier das Sagen hat.« Gwynbaen holte tief Luft. Für einen Augenblick verdrängte die Angst die Zuversicht in ihren Augen. Dann fuhr sie fort: »Jenseits des Hügellandes befindet sich Land, das mir für unsere Zwecke geeignet erscheint. Es handelt sich um den ältesten Teil des Schattenlandes; um Spiegelgrund, der im Laufe der Zeiten brüchig und porös geworden ist. Dort soll es uns gelingen, eine Ansiedlung zu errichten, die uns vor den Auswirkungen der Schatten schützt. Hinter hohen Mauern werden wir uns verbergen, Pläne schmieden und Kräfte sammeln, um im geeigneten Moment ein Tor zu den anderen Welten aufzubauen.«
Der Wolkenschatten löste sich von den Versammelten. Lichtfinger umschlossen sie, sorgten aber für keinerlei Erlösung. Denn nun gerieten die Spiegelungen des Bodens umso heftiger. Sie zogen alle Blicke auf sich und zeigten ihnen jene Leere, die sie anstelle von Seelen trugen.
»Wie lange?«, fragte einer der beiden Äskulappen. »Wie lange wird es dauern, bis wir das Schattenland verlassen können?«
»Es wird mir schwerfallen, hier ausreichend Kraft zu sammeln«, antwortete Gwynbaen nach einem Moment des Zögerns. »Viele von uns werden den Augenblick der Rückkehr in die Anderswelt nicht mehr erleben.«
Sie marschierten dicht an dicht, gaben sich gegenseitig Schutz vor den Schatten und munterten sich immer wieder mit alten, kräftigen Liedern auf. Schatten und Spiegelbilder waren nicht ursächlich tödlich. Sie schwächten lediglich und konnten empfindliche Gemüter in den Wahnsinn treiben. Andere Wesen mochten irgendwann ihren Lebenswillen verlieren und liegen bleiben, bis sie ihre eigene Existenz vergaßen. Und die Zähesten von ihnen würden wohl auch den Endlosen Tag überdauern: Ragnarök, Armageddon, das Letzte Gericht, das Ende des Wegs. Dann träten sie in den nächsten Zyklus über, um dort in der Bedeutungslosigkeit niederster Existenz neu zu erwachen.
Eine steil hochragende Felsspitze wies dem Zug von Gwynbaens Getreuen den Weg. Sie warf keinen Schatten. Schmerzwehen umflirrten in der Sonnenhitze die Basis des Gesteins. Links vom Wegweiser marschierten die müden Verbannten auf Geheiß der Königin vorbei, auf das sanft ansteigende Spiegelhügelland zu.
Gofannon scherte aus den Reihen aus. Reste von Neugierde und eine seltsame Anziehungskraft ließen ihn die Nähe zur Felsspitze suchen. Er scherte sich nicht um die zornigen Rufe seiner Begleiter, die seine körperliche Stärke wie einen Schutzmantel um sich gebreitet wissen wollten.
Die Nadel ragte so hoch in den Himmel, dass sie die Schwarzwolken zu berühren schien. Gofannon berührte vorsichtig das Gestein.
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