Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes - Thurner, M: Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes
gescheiterte Existenzen in die Hand spielten, damit ihr nicht unbedeutende Rollen in dieser ... Tragikomödie einnehmt.« Sie tat einen Schritt auf Gofannon zu. »Wusstest du, dass du mir eine Zeit lang wirklich etwas bedeutet hast, ehemaliger Gott? Du hast es verstanden, mich mit deinem rüden Charme zu beeindrucken. Du warst anders als die Hofschranzen, die sich um mich versammelt hatten.«
Sie seufzte. Ihr helles Haar leuchtete für einen Moment in einem vorbeischwebenden Flammenflitter auf. »Doch du hast deinen Schwung nur zu rasch verloren. Du hast dich vom Tand meines Hofes blenden lassen, dich nur allzu gerne den vielfältigen Vergnügungen hingegeben. Bald musste ich erkennen, dass ich dich verloren hatte. Dass du bloß eine weitere von vielen armseligen Gestalten warst, die sich wie Maden in meinem Schloss einnisteten.«
»Es tut mir leid, dass ich Euch enttäuscht habe, Königin«, sagte Gofannon ehrerbietig. »Ich möchte alles tun, um es wiedergutzumachen.«
»Wie ich bereits sagte: Es war lediglich ein Moment.« Bandorchus Interesse an ihm erlosch so rasch, wie es gekommen war. »Nun zu eurer Aufgabe: Ihr bleibt in meiner unmittelbaren Nähe, während ich versuche, das Portal aufzubauen. Es wird euch ins Menschenreich führen. Für mehr reicht meine Kraft zurzeit nicht. Die Anderswelt bleibt mir verschlossen. Ihr werdet durch das Tor treten, euch auf der anderen Seite orientieren und so rasch wie möglich wieder hierher zurückkehren. Öffnet eure Sinne. Jedes winzige Detail kann für mich von Bedeutung sein. Achtet insbesondere auf Sinneserfahrungen und weniger auf das, was euch euer beschränkter Verstand einzutrichtern versucht, wenn ihr
drüben
seid. Seht, riecht, spürt, schmeckt, ahnt und hört. Merkt euch diese Eindrücke.«
»Ja, Herrin«, sagte Gofannon. »Ich tue, was Ihr von mir verlangt.«
»Braves Hundchen.« Bandorchu verzog ihr Gesicht, angewidert von seinen duckmäuserischen Worten.
Nein. Niemals würde sie ihm vergeben. Sein Charakter, der sich unter der Last vielfältigster Eindrücke so schmerzhaft verändert hatte, konnte nicht mehr zu jener göttlichen Erhabenheit zurückfinden, die ihr vielleicht einmal gefallen hatte.
»Ruhig jetzt!«, flüsterte die Königin. Sie setzte sich auf ihren Thron und versank zentimetertief in einer gallertartigen Masse. »Leert eure Köpfe. Bleibt ruhig, richtet eure Gedanken auf irgendwelche niedrigen Tätigkeiten. Die Errichtung eines Portals erfordert die Konzentration aller sieben Sinne auf das Ziel.«
Sieben Sinne. Neben den herkömmlichen fünf, die selbst den niedrigsten Lebewesen zu Eigen waren, verfügte die Königin so wie er über die Gabe der Vorahnung. Sie allerdings konnte darauf reagieren, während Gofannon diesen kurzen Ausblicken in ein zukünftiges »Möglicherweise« meist hilflos gegenüberstand. Er war nicht in der Lage, sein Schicksal zu steuern, wie sie es tat.
Der siebte Sinn blieb unaussprechlich. Er umfasste ein All-Sein. Das Gefühl, sich im Zentrum eines Welten umspannenden Netzes zu befinden, von dem aus man in Kontakt mit jedermann und allem treten konnte. Es war eine schier unkontrollierbare Gabe, die nur durch jahrtausendelanges Training von einigem Nutzen sein konnte. Gofannon hatte gute Anlagen besessen, um daraus Gewinn zu ziehen. Doch die mentalen Übungen waren ihm langweilig erschienen, und die Fortschritte blieben kaum messbar. Also hatte er den siebten Sinn vernachlässigt, um sich den Genüssen der »Alten Fünf« hinzugeben.
Bandorchu, deren Begabung er spüren konnte, hatte ihre Möglichkeiten perfekt ausgereizt. Ihre Position im Gedankennetz entsprach einer gut ausgebauten Bastion, von der aus zu jeder Zeit Impulse fernen, unbekannten Zielen entgegenströmten. Sie kontrollierte und wusste in einem gewissen Ausmaß, was die Zukunft für sie und die Welten bringen würde.
Ahnte sie, wie das Ende allen Seins aussah? Wie Leben und Tod einstmals ineinander verschmelzen würden?
»Deine Gedanken«, mahnte ihn die Königin zornig, »sie stören!«
Gofannon nickte eifrig, obwohl er wusste, dass ihn Bandorchu nicht sehen konnte. Ihre Blicke waren nach innen gerichtet. Ganz deutlich fühlte er, wie sie ein Etwas aus sich herauszog – und ihm in einem unheimlich anmutenden Vorgang semimaterielle Substanz verlieh.
Nein! Er musste an etwas anderes denken. An die Wände in jener Wohnnische, die er sich mit dem Kau teilte. An die seltsamen Zeichnungen und Graffiti, an die stummen Schreie der Felsen, das
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