Elidar (German Edition)
schwiegen beide und lauschten dem Getrappel und Stimmengewirr vor ihrem Kellerloch. Es schien weniger zu werden, leiser, weniger aggressiv.
»Sie sind fort«, sagte Elidar nach einer weiteren Weile. Es war still geworden. Irgendwo weinte ein Kind, und ein Hund bellte sich die Seele aus dem Leib.
Luca kletterte zurück auf die Straße und streckte die verkrampften Glieder. Dann beugte er sich hinunter und reichte Elidar die Hand, um ihr auf die Gasse zu helfen.
»Danke«, sagte das Mädchen überrascht. Sie klopfte ihre Knie ab.
»Ich sage danke«, erwiderte Luca. »Du hast mich vorhin aus einer brenzligen Situation befreit. Der Schmied hätte mir den Schädel einschlagen können.«
»Wahrscheinlich nicht, wenn er deine Uniform gesehen hätte.« Elidar runzelte die Stirn. »Aber vielleicht hätten sie dich verprügelt. Qang-Köpfe sind unberechenbar.«
»Ich muss zum Serail.« Luca sah sich um.
»Hier lang«, sagte Elidar und zeigte auf das Ende der Gasse, wohin auch die tobende Menge gelaufen war.
»Sie sind zum Drachennest unterwegs, sagst du?«
»Drachennest« wurde das gesamte Altstadtgebiet auf der Hafenseite genannt. Luca hatte das Nest noch nie von innen gesehen. Es war so gelegen, dass nur eine einzige Straße in das Viertel hineinführte, und an der stand gewöhnlich eine Gruppe von kräftigen Echsenmännern, die kontrollierte, wer dort ein- und ausging. Es war Menschen zwar nicht verboten, das Nest zu betreten, aber sie waren dort auch nicht wirklich willkommen.
»Ich würde mich nicht einmischen«, sagte Elidar. »Sie werden vor dem Nest stehen, brüllen und Steine werfen. Der eine oder andere wird es schaffen, hinein zu gelangen. Dann kommt er entweder nie wieder hinaus - oder in ganz kleinen Stücken.« Sie gluckste. »Die Drachen wissen sich zu verteidigen, auch ohne eure unglaublich zahlreiche Hilfe.«
Natürlich war die Garde an Mannstärke dem Aufruhr der Yasemiten unterlegen. Aber immerhin waren er und seine Kameraden gut ausgebildet und bewaffnet und bestens darin geschult, mit Aufruhr aller Art umzugehen. Die Drachen waren dahingegen nur Zivilisten, genauso wie die Yasemiten, die sie angriffen, redete er sich ein.
Luca wollte loslaufen, aber dann hielte er inne. »Wo finde ich dich?«
Das Mädchen wedelte mit der Hand. »Na, hier. Irgendwo.«
»Wo schläfst du?«
Sie zog wieder die Schultern hoch. Ihre Haltung spiegelte ihr Unbehagen. Das Gesicht war so verschlossen wie das Tor des Serails in der Nacht.
»Hier und da«, sagte sie ausweichend.
»Also nirgends.« Luca seufzte. »Was mache ich denn mit dir?«
Sie wich ein paar Schritte zurück. »Nichts«, sagte sie. »Ich komme sehr gut klar, danke.« Sie wandte sich um und rannte davon.
»He«, rief Luca. »He, bleib doch hier!« Aber das Mädchen bog schon um die Ecke und war außer Sicht.
Kopfschüttelnd lief er los, hinter der Meute her. An der nächsten Straßengabelung zögerte er kurz, aber dann erkannte er das Kaffeehaus von Salim, dem Einäugigen. Von hier aus konnte er ohne großen Umweg das Geschehen vor dem Drachennest in Augenschein nehmen, bevor er zum Serail weiterlief. Der Tesserar legte Wert auf eine präzise Berichterstattung.
Er hörte den Aufruhr, ehe er ihn sehen konnte. Das Geschrei und Poltern und die Geräusche von zerbrechenden und zersplitternden Gegenständen waren ohrenbetäubend. Es klang, als sei die ganze Stadt vor dem Viertel der Dkhev versammelt.
Luca ging langsamer und hielt das blanke Schwert umklammert. Er hatte als blutjunger Rekrut den Aufstand des Plebses in der Hauptstadt miterlebt, und damals hatte er wahrlich um sein Leben gezittert. Viele Gardisten waren bei den Kämpfen in den Straßen Cathretas getötet worden, auch wenn es der Garde letztlich gelungen war, den Aufstand niederzuschlagen. Aber damals hatte er gesehen, dass es auch einfachen Zivilisten durchaus möglich war, ein gut ausgebildetes Kommando in Bedrängnis zu bringen.
Er atmete tief und zwang sich zur Ruhe, dann bog er um die Hausecke, die ihn vom Geschehen abschirmte.
Die schiere Lautstärke des Aufruhrs ließ ihn unwillkürlich zurückweichen. Er hätte nie gedacht, dass Kayvan dermaßen viele Männer beherbergte. Die Menschenmenge wogte vor und zurück und brandete gegen die abweisenden Mauern der Häuserreihe, die die Grenze zum Dkhev Viertel bildete. Steine waren aus den Mauern und dem Pflaster herausgerissen worden und flogen wie ein riesengroßer, grauer Hagel gegen die fensterlosen Mauern und über die Dächer in
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