Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
hielten. Zwischen Blumen und Grün lagen ausgetretene Weg, zwar in geordnetem Muster, aber ohne strenge Geometrie. Einige breitere Straßen stachen hervor, befestigt und schnurgerade, die kürzeste Verbindung zwischen den Städten. Nirgends lag ein Schatten am Boden, jeder Winkel war hell beleuchtet, als gäbe es viele Sonnen am Himmel von denen indes nur eine zu sehen war.
Robert führte plötzlich festen Boden unter sich, als sei er noch in seinem Körper. Er erkannte, dass er zwischen den Zinnen eines hohen steinernen Turms stand, der sich auf der höchsten Erhebung eines Hügels befand. Von hier konnte er weit ins Land blicken, das so still dalag, als handele es sich nur um ein Bild: Kein Wind bewegte die Bäume oder das Gras, Straßen und Höfe lagen vollkommen leer. Nirgends konnte er einen Menschen entdecken, oder eine Kutsche, ein Pferd oder einen Karren. Er selbst besaß an diesem Ort eine Art Körper, der sich recht real anfühlte, und er spürte sogleich die Anwesenheit des Königs neben sich. Robert wandte den Kopf und schaute zum ersten Mal diesem Wesen in die Augen, das zwar gestorben aber nicht wirklich tot war. Er sah ein sehr lebendiges Gesicht vor sich, mit hell leuchtenden Augen und dunklem Haar. Über sechzig Jahre hatte dieser König regiert, doch sein Gesicht zeigte keine Falten und strahlte die Anmut der Jugend aus. Robert fühlte eine starke Energie von ihm ausgehen, überbordende Lebenskraft - und das im Reich der Toten!
„Nur ein Winkel im Scheol“, hörte er ihn sagen mit einer Stimme, die ihm vertraut schien und doch zum ersten Mal in seiner Nähe erklang. „Die Engel bereiteten diesen Ort, ich nenne ihn meine Insel der Zeit. Hier ist es verdammt einsam.“ Er lachte ein wenig, doch seine Miene erschien eher traurig. „Allein Ami-el kommt bis hierher und berichtet mir von dort draußen. Sonst sehe ich niemand. Die Insel der Zeit imitiert trefflich Raum und Zeit, so wandle ich seit tausenden von Jahren durch dieses leere Land.“ Er blickte einige Sekunden in die Ferne, wandte sich dann aber schnell wieder Robert zu. „Schön, dass du da bist“, sagte er. „Ich hab ein paar Tage auf dich gewartet.“
„ Was willst du?“ fragte Robert ihn.
„ Hier wieder raus“, war die Antwort aus spürbar tiefstem Herzen. „Dafür brauche ich dich, denn allein gelingt es mir nicht.“
Eine seltsame Situation, in diesem Land zu sein, das gar keines war und die Bitte dieses Fremden zu hören, der ihm auf verwirrende Weise so nahestand.
„Du bist tot“ sagte Robert, „und willst mit meiner Hilfe wieder leben? Wenn dein mächtiger Freund, der den Schlüssel zum Totenreich besitzt, dir nicht helfen kann, für wen hältst du mich?“
„ Ami-el ist selbst gefangen“, erklärte Sirus. „Seit der großen Flut können er und seinesgleichen nicht mehr so wirken wie zuvor. Sie sind gefesselt im Scheol, reichen aber wie mit langen Armen in die Welt hinein. Mein Engel öffnet das Tor, weil er selbst dazwischensteckt, er befindet sich zugleich im Leben und im Tod.“
Robert erkannte, dass die Haut des Königs nicht nur ganz ohne Falten war, sondern auch vollständig glatt, porenlos, eine kunstvolle Skulptur als bloße Nachahmung fleischlichen Lebens. Seine eigenen Händen, die er einen Moment lang ins Auge fasste, waren ähnlich gestaltet: Irgendein Künstler hatte hier sein bewegliches Werk geschaffen. Dies alles ging weit über seinen Verstand, er wusste nicht einmal, wie er in diese Hülle hineingelangt war - und ob er jemals wieder hinaus konnte.
„Dich hier rauszuholen würde wohl bedeuten, auch ihn zu befreien“, stellte Robert nüchtern fest. Sirus schaute ihn nur abwartend an, in seinem offenen Blick stand die Antwort zu lesen. „Ich mag deinen Engel nicht“, erklärte Robert daraufhin. „Ich würde ihn lieber noch tiefer in die Hölle stoßen.“
„ Das kann sein“, meinte Sirus leichthin. „Mir ist er nützlich, denn ohne ihn hätte ich keine Chance auf eine Rückkehr. Frag dich also lieber, ob du ihn und mich noch gebrauchen kannst, nicht, ob du uns magst.“ Der König lächelte ein wenig und stützte die Hände auf die Steinzinnen, während er den Blick aber nicht von seinem Gesprächspartner nahm. „Wie waren noch deine Ziele, bevor dich zuerst der Zorn und dann die Leere dich ergriffen haben?“
„ Dein Dämon hat sich mir angebiedert, als ich ein Kind war, und ist mir dann wahrscheinlich lebenslang nachgeschlichen“, stellte Robert trocken fest. „Also wirst du
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