E.M. Remarque
wenn Wasser ausgeschüttet würde. Er sah dunkle Kannen,
die geschwenkt wurden und aus denen Flüssigkeit hoch über die Wände schwappte.
Dann roch er das Benzin.
Die Elitetruppe Webers hatte Abschied gefeiert. Um Mitternacht war der Befehl
zum Abrücken durchgekommen, und die meisten Truppen waren bald abmarschiert;
aber Weber und seine Rotte hatten noch Schnaps genug und sich rasch besoffen.
Sie wollten nicht einfach so abziehen und waren noch einmal durch das Lager
gestürmt.
Weber hatte angeordnet, Benzinkannen mitzunehmen. Sie wollten ein Fanal
hinterlassen, an das man noch lange denken sollte. Die Baracken, die aus Stein
waren, hatten sie in Ruhe lassen müssen; dafür aber hatten sie an den alten
polnischen Holzbaracken alles, was sie suchten.
»Feuerzauber! Los!«, schrie Steinbrenner.
Ein Streichholz flammte auf; gleich darauf brannte eine Schachtel. Der Mann,
der sie hielt, warf sie auf den Boden. Ein anderer warf eine zweite in eine
Kanne, die dicht neben der Baracke stand. Sie erlosch. Aber von dem hellen Rot
des ersten Streichholzes lief ein dünner blauer Streifen über den Boden zur
Baracke, die Wand hinauf, schlug fächerförmig, gasig auseinander und
verbreitete sich zu einer zitternden blauen Fläche. Es sah im ersten Augenblick
nicht gefährlich aus, sondern wirkte wie eine kalte, elektrische Entladung,
dünn und wehend, die rasch verlöschen würde. Dann aber begann es zu knistern,
und in dem blauen Wehen zum Dache hin tauchten herzförmige, gelbe, wabernde
Feuerkerne auf – Flammen.
Die Tür öffnete sich ein Stück. »Knallt die 'runter, die 'rauskommen!«
kommandierte Weber.
Er hatte ein Maschinengewehr unter dem Arm und feuerte.
Eine Gestalt fiel in der Tür nach hinten. Bucher, dachte 509. Ahasver. Sie
schliefen dicht an der Tür. Ein SS-Mann sprang vor, riß die zusammengesunkenen
Gestalten, die noch vor dem Eingang lagen, zur Seite, stieß die Tür wieder zu
und sprang zurück. »Jetzt kann's losgehen! Hasenjagd!« Das Feuer schoß bereits
in Garben hoch. Durch das Brüllen der SS-Leute hörte man das Schreien der
Gefangenen. Die Tür der nächsten Sektion öffnete sich.
Menschen purzelten heraus. Die Münder waren schwarze Löcher. Schüsse
knatterten.
Keiner kam durch. Wie ein Haufen Spinnen zuckten sie vor dem Eingang.
509 hatte im Anfang erstarrt dagelegen. Jetzt richtete er sich vorsichtig auf
Er sah vor den Flammen die Silhouetten der SS deutlich. Er sah Weber
breitbeinig dastehen.
Langsam, dachte er, während alles in ihm zitterte. Langsam, eines nach dem
anderen.
Er holte den Revolver unter dem Hemd hervor. Dann hörte er in einer kurzen
Stille zwischen dem Brüllen der SS und dem Sausen des Feuers das Schreien der
Gefangenen lauter. Es war ein hohes, Unmenschliches Schreien. Ohne zu
überlegen, zielte er auf den Rücken Webers und drückte ab. Er hörte den Schuß
unter den anderen Schüssen nicht. Er sah Weber auch nicht fallen.
Und plötzlich fiel ihm ein, daß er keinen Rückstoß der Waffe in der Hand
gespürt hatte. Ihm war, als hiebe ihm jemand mit einem Hammer gegen das Herz.
Der Revolver hatte nicht funktioniert.
Er merkte nicht, daß er sich die Lippen zerbiß. Ohnmacht stürzte wie Nacht über
ihn herein, er biß und biß, um nicht in den schwarzen Nebel zu versinken. Naß
geworden, wahrscheinlich, unbrauchbar, Tränen, Salz, Wut, ein letztes Tasten –
und dann plötzlich die Erlösung, die rasche, huschende Hand über die glatte
Fläche, ein kleiner Hebel, der nachgab, und Strömen, Strömen – der Revolver war
nicht entsichert gewesen.
Er hatte Glück. Niemand von der SS wandte sich um. Sie erwarteten nichts von
seiner Seite. Sie standen und schrieen und hielten die Türen unter Feuer. 509
hob die Waffe gegen die
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