Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
schließlich sei sie auch vom Fach. Ich weiß nicht, ob sie darauf vorbereitet war, aber sie hörte es sich mit geschlossenen Augen und geballten Fäusten an, während ich das kleine Mädchen in den Armen schaukelte.
»Es ist eine Form der Leukämie, die speziell bei Säuglingen auftritt«, sagte der Arzt, und ich hatte bei seinen Worten das Gefühl, dass sich mein Innerstes gerade auflöste. »Sie haben eine große Familie. Kaelynn hat viele Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen, richtig? Alle sollten sich testen lassen. Wir suchen außerdem in der Datenbank, um einen genetischen Zwilling zu finden. Wenn wir eine Knochenmarkspende bekommen, stehen die Chancen sehr hoch, dass Kaelynn ganz gesund wird. Diese Form ist sehr gut heilbar.«
Erst als ich die beiden nach Hause gebracht und mit Emmas Vater gesprochen hatte, brach Emma zusammen. Ihr Vater sah nach der Kleinen, und wir saßen im Wohnzimmer auf der Couch. Sie hatte die Beine angezogen, den Kopf auf den Knien, Tränen liefen ihr über das Gesicht, aber sie sagte nichts. Sie schien nicht einmal zu schluchzen.
»Was kann ich tun?«, fragte ich sie hilflos. »Soll ich deine Geschwister anrufen?«
Sie schüttelte den Kopf und murmelte etwas, das sich wie »Dad macht das« anhörte.
»Etwas anderes? Irgendwas?«
Wieder Kopfschütteln.
»Du musst Kaelynns Vater verständigen«, sagte ich.
Emma vergrub ihr Gesicht in den Händen, sagte aber nichts.
»Hast du mich gehört?«
Sie reagierte nicht.
»Emma, sei vernünftig.«
»Ja«, hörte ich sie hohl sagen. »Ja. Mach ich. Natürlich mach ich das.«
»Hat er Geschwister?«
Sie nickte.
»Und seine Eltern, leben die noch?«
Wieder nickte sie.
»Und seine Cousins und Cousinen, Tanten, Onkel, alle müssen sich testen lassen. Solange sie mit ihm verwandt sind …«
»Der genetische Zwilling ist nicht unbedingt ein Verwandter. Deshalb suchen sie über die Datenbanken.«
Ich sagte: »Gut. Dann lasse ich mich auch testen. Wir alle. Und ich lege Flyer im Pub aus, damit sich im Ort auch alle testen lassen. Und wir könnten …«
»Danke«, stoppte mich Emma. »Danke, du bist so wahnsinnig gut zu mir.«
»Quatsch. Jeder würde doch …«
»Kate, du hast schon so viel für uns getan, und ja, es wäre großartig, wenn ihr euch alle testen lassen könntet. Aber … ich muss jetzt allein sein, bitte sei mir nicht böse.«
Ich nickte. Sie lag auf dem Sofa und sah mich nicht an.
»Ich sag deinem Vater Bescheid, dass ich gehe, ja?«
»Nein. Ich will jetzt allein sein. Wenn du ihm sagst, dass du gehst, kommt er mit Kaelynn runter.«
»Gut«, sagte ich. »Aber melde dich, egal wann, wenn noch etwas ist.« Ich stand auf. »Und du versprichst mir, dass du als Erstes Kaelynns Vater anrufst? Er muss es wissen.«
»Geh jetzt, bitte«, sagte Emma leise.
»Versprichst du es?«
»Ich hab doch gesagt, ich tu es, und jetzt, bitte, darf ich allein sein? Ja?« Emma drehte sich um und wandte mir den Rücken zu, und mir blieb nichts anderes übrig, als endlich zu gehen. Noch bevor ich die Haustür öffnete, wusste ich, warum sie mich nicht angesehen hatte, warum sie wollte, dass ich gehe: Sie würde nicht mit Kaelynns Vater reden. Sie würde es einfach nicht tun.
Aber konnte es denn sein, dass sie lieber auf eine Möglichkeit verzichtete, das Leben ihrer Tochter zu retten, als sich bei ihrem Exmann zu melden? Auf keinen Fall – keine Mutter, kein Mensch, der auch nur einen Funken Gefühl hatte, würde so etwas tun.
Sie brauchte wahrscheinlich nur noch etwas Zeit, sich zu diesem Anruf zu überwinden. Ich fragte mich, was wohl zwischen diesem Mann und ihr vorgefallen war, dass es ihr sogar in dieser tragischen Ausnahmesituation schwerfiel, ihn zu kontaktieren.
24.
Wir saßen in Sophies kleinem Wohnzimmer und hatten alle Fenster geöffnet, weil es draußen durch den Wind kühler war als drinnen. Aber die Hitze ließ sich nicht aus der Dachwohnung vertreiben. Dabei war noch nicht einmal Mittag.
Sophie war genauso betroffen und schockiert von der Nachricht, dass Kaelynn schwer krank war, wie ich. Kopfschüttelnd hörte sie sich an, dass ich Zweifel daran hatte, ob Emma ihren Exmann benachrichtigen würde.
»Ich würde da doch nicht warten«, sagte sie. Sophie saß vor ihrem Laptop und las gerade quer, was sie über Leukämie gefunden hatte. »Ich würde den Kerl auf der Stelle anrufen und ihm sagen, er soll sich hier zeigen, verdammt.«
»Irgendwas muss da passiert sein«, spekulierte ich.
»Von mir aus kann sie ihn
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