Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
nur ein paar Minuten zu Fuß entfernt, und wieder änderte sich das Str aßenbild. Die Häuser waren grau, Pflanzen waren nich t zu sehen, eine Häuserzeile hatte sogar verbarrikadierte Türen und Fenster. Einen Moment lang glaubte ich schon, die Atmosphäre in meinem Hotel nur geträumt zu haben. Wenig später stand ich vor dem Krankenhaus, einem riesigen, Ufo-ähnlichen Klotz. Daneben war ein riesiger Parkplatz, auf dessen Fläche ein ganzer Bürokomplex Platz gehabt hätte. Ich suchte den Haupteingang und verlangte Dr. O’Donnell.
»Haben Sie einen Termin?«, wurde ich gefragt.
»Es geht um eine sehr dringende familiäre Angelegenheit«, sagte ich. »Ich muss ihn persönlich sprechen.«
Der Mann am Empfang sah mich düster an, griff aber nach dem Telefon und murmelte etwas hinein. Dann legte er auf und sagte: »Gehen Sie hoch in den fünften Stock. Bereitschaftsraum. Fragen Sie da noch mal nach.«
Ich ging vorbei an Patienten in Bademänteln und Jogginganzügen, die sich mit ihren Besuchern in der Eingangshalle aufhielten, und suchte den Aufzug. Im fünften Stock war die Atmosphäre ganz anders: Hier war alles ruhig auf dem Flur. Weiter kam ich nicht, denn an so ziemlich allen Türen standen Hinweise, dass Besucher keinen Zutritt haben. Dahinter befanden sich laut der Beschilderung Labore und die intensivmedizinische Betreuung. Ich wunderte mich schon, warum mich der Pförtner hier heraufgeschickt hatte, als eine Krankenschwester auf mich zukam und fragte: »Sie suchen Dr. O’Donnell? Er ist im OP. Kann ich Ihnen helfen?«
Ich nannte meinen Namen und sagte ihr, was ich dem Pförtner gesagt hatte, aber sie schüttelte nur den Kopf.
»Da müssen Sie mir schon genauer sagen, worum es geht. Haben Sie eine Ahnung, wie viele Angehörige von Patienten jeden Tag herkommen, um unsere Ärzte in persönlichen und vertraulichen Angelegenheiten zu sprechen? Tut mir leid, wenn ich so direkt bin, aber … nun.« Sie nickte mir zu, als wäre das Gespräch für sie beendet, und wandte sich zum Gehen.
Schnell sagte ich: »Wie lange arbeiten Sie schon hier?«
Sie blieb stehen. »Zwanzig Jahre. Warum?«
»Dann kennen Sie Emma? Seine Exfrau?«
Jetzt hatte ich ihre volle Aufmerksamkeit. »Emma? Natürlich. Sind Sie ihretwegen hier? Ist ihr … Ihr ist doch nichts passiert?« Jetzt schien sie wirklich besorgt. Sie war gute zehn Jahre älter als Emma und ich, schätzte ich. Vielleicht hatte sie mit Emma zusammengearbeitet. Vielleicht waren sie sogar befreundet gewesen.
»Emma geht es gut. Den Umständen entsprechend. Aber ihre Tochter ist sehr krank …«
»Sie hat ein Kind?«
»Verstehen Sie jetzt, warum ich Dr. O’Donnell so dringend sprechen muss?«
Die Frau nickte und rieb sich dabei mit einer Hand den Nacken. Mir fiel auf, wie dunkel die Ringe unter ihren Augen waren. »Ich weiß nicht, wie lange er heute noch hier zu tun hat. Lassen Sie mir Ihre Telefonnummer da? Dann melde ich mich bei Ihnen.«
Ich zögerte. »Ich fliege morgen wieder zurück nach Cork.«
»Verlassen Sie sich drauf, ich kümmere mich darum. Es könnte allerdings spät werden. Vielleicht rufe ich mitten in der Nacht an. Damit müssten Sie rechnen.«
Ich sagte ihr, ich sei mit allem einverstanden, solange ich nur die Gelegenheit bekäme, mit dem Doktor persönlich zu reden. Ich wollte ihr nicht sagen, dass es da noch etwas anderes gab, das ich ihn fragen musste.
Während wir auf dem Flur vor dem Aufzug standen und miteinander sprachen, waren ein paarmal die Türen zu den Bereichen aufgegangen, die für Außenstehende nicht zugänglich waren. Ärzte, Schwestern, Labortechniker waren rein- oder rausgegangen. Hinter den Türen: der Kampf zwischen Leben und Tod. Ich musste an Kaelynn denken, das tapfere, winzige Ding, das sich so gut entwickelt hatte nach der zu frühen Geburt, und jetzt kam der nächste Schicksalsschlag.
Ich dachte: Es ist richtig, dass ich hier bin. Nicht meinetwegen. Vor allem wegen Kaelynn.
Ich verabschiedete mich und verließ das Krankenhaus. Bevor ich zurück ins Hotel ging, wollte ich noch etwas die Gegend erkunden. Hier also hatte Emma gelebt und gearbeitet, hier hatte sie Frank kennengelernt …
Ich musste etwas trinken, die brütende Hitze war unerträglich. Ich hatte auch Hunger, und der Akku meines Handys zeigte deutliche Anzeichen von Ermüdung. Ein Ladegerät würde sich bestimmt auch auftreiben lassen. Ich aß in einem der indischen Restaurants, kaufte danach bei einem pakistanischen Händler ein Ladegerät für
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