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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Jungen mit Essen und Wasser versorgt. Was zum Henker braucht Jeb da noch mehr?«
    »Er braucht einen Beweis. Er sagt, bisher ist nichts bewiesen. Und ich muss sagen, ich teile seinen Standpunkt.«
    Erneutes Nicken von Jeb, nachdrücklicher als zuvor, sekundiert von Shorty und dann den übrigen Gefährten. Alle vier fixieren sie ihn jetzt mit diesen weißen Augen aus den Sturmhauben.
    »Neun?«
    »Weiß plötzlich keiner mehr, was ein Befehl ist?«
    »Darf ich etwas sagen?«
    »Aber beeilen Sie sich.«
    Er spricht jetzt fürs Protokoll. Er wägt jedes Wort sorgfältig ab.
    »Neun, es ist meine Einschätzung, dass wir es nach jedem vernünftigen Beurteilungskriterium mit einer Reihe von unbewiesenen Annahmen zu tun haben. Jeb und seine Männer verfügen über enorm viel Erfahrung. Ihres Erachtens hält nichts von dem, was uns hier vorliegt, einer Überprüfung stand. Als Ihre Augen und Ohren vor Ort teile ich diese Meinung.«
    Undeutliches Gemurmel im Hintergrund, dann wieder satte Grabesstille, bis Quinn sich zurückmeldet, sein Ton schrill, nörgelnd:
    »Punter ist unbewaffnet, verdammt. Das war sein Deal mit Aladin. Unbewaffnet und unbegleitet, ein Vieraugentreffen. Er ist ein Topterrorist, auf dessen Kopf eine Unsumme Geld ausgesetzt ist, aus ihm lassen sich hochwertvolle Informationen herausholen, und er sitzt hier auf dem Präsentierteller. Paul? «
    »Ich bin noch dran, Neun.«
    Noch dran, aber mit Blick auf den linken Bildschirm, wie sie alle. Auf das Heck des Mutterschiffs. Auf den Schatten an seiner landwärts gewandten Seite. Auf das Schlauchboot, das jetzt im Wasser liegt. Auf die acht geduckten Gestalten an Bord.
    »Paul? Geben Sie mir Jeb. Jeb, sind Sie da? Ich will, dass Sie beide mir zuhören. Jeb und Paul. Hören Sie beide zu?«
    Ja.
    »So, hören Sie zu.« Sie haben es beide bereits bestätigt, aber gut … »Wenn sich das Bootsteam Aladin schnappt, zum Schiff zurückbringt und ihn aus den Territorialgewässern heraus in die Hände der Vernehmer liefert, während ihr da oben auf euren vier Buchstaben hockt, was meint ihr, wie das aussieht? Himmelarsch, Jeb, ich war ja schon vorgewarnt, dass Sie pingelig sind, aber bedenken Sie, was auf dem Spiel steht, Mann!«
    Auf dem Bildschirm ist jetzt neben dem Mutterschiff kein Schlauchboot mehr zu sehen. Jebs geschwärztes Gesicht unter seiner Sturmhaube gleicht einer alten Kriegsmaske.
    »Tja, dann gibt’s wohl nichts mehr zu sagen, Paul, oder?«, sagt er gedämpft. »Sie haben ja alles gesagt.«
    Aber Paul hat keineswegs alles gesagt, jedenfalls nicht zu seiner Zufriedenheit. Und auch jetzt staunt er wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit ihm die Worte kommen, ohne Zögern, ohne Stocken.
    »Bei allem Respekt, Neun, nach meiner Einschätzung gibt es keinerlei hinreichenden Grund, warum das Landteam zugreifen sollte. Oder sonst jemand.«
    Ist dies das längste Schweigen seines Lebens? Jeb kniet mit dem Rücken zu ihm und macht sich an seinem Tornister zu schaffen. Die Männer hinter ihm stehen schon. Einer – er ist nicht sicher, welcher – hat den Kopf gesenkt und scheint zu beten. Shorty hat die Handschuhe ausgezogen und feuchtet eine Fingerkuppe nach der anderen mit der Zunge an. Es ist, als hätte die Botschaft des Ministers sie auf anderem, verborgenerem Wege erreicht.
    »Paul?«
    »Sir.«
    »Nehmen Sie gütigst zur Kenntnis, dass ich hier nicht der Einsatzleiter bin. Militärische Entscheidungen obliegen, wie Sie wissen, strikt dem befehlshabenden Soldaten vor Ort. Ich kann jedoch eine Empfehlung aussprechen. Sie werden Jeb darum mitteilen, dass ich aufgrund der mir vorliegenden operativen Erkenntnisse emp fehle, aber nicht be fehle, dass er gut daran täte, die Operation Wildlife unverzüglich ins Werk zu setzen. Die Entscheidung liegt natürlich ausschließlich bei ihm.«
    Doch Jeb, der genug gehört hat und den Rest lieber gar nicht erst abwarten will, ist mit seinen Kameraden schon in die Dunkelheit verschwunden.
    ***
    Bald mit, bald ohne Nachtsichtbrille spähte er in das dichte Dunkel, konnte aber keine Spur von Jeb oder seinen Männern ausmachen.
    Auf dem ersten Monitor näherte sich das Schlauchboot dem Ufer. Gischt spritzte in die Kamera, schwarze Felsen ragten ins Bild.
    Der zweite Monitor war tot.
    Er probierte es mit dem dritten. Die Kamera zoomte Haus sieben heran.
    Die Haustür war zu, die Fenster nach wie vor vorhanglos und unbeleuchtet. Kein Irrlicht in verhüllter Hand geisterte durch die Räume. Aus dem Schlauchboot kletterten

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