Engelsblut
Theke. Warf einen Blick hinein. Und musste schmunzeln: rheinischer Sauerbraten mit Kartoffelklößen und Blaukraut. Das war doch genau das Gericht, mit dem sich Gerichtsmediziner Hinrich am Vortag hatte bekochen lassen.
»Jetzt weiß ich, woher ich Sie kenne.« Die Dame stand wieder neben Horndeich. »Sie sind der Kommissar. Der Freund von meinem Martin.«
Meinem Martin? Horndeich konnte sich kaum vorstellen, dass sich Hinrich über das Possessivpronomen freuen würde.
»Ja, der bin ich. Horndeich mein Name.«
»Und ich heiße Danuta. Angenehm.« Sie reichte ihm die Hand.
»Schon lange mit Martin zusammen?«
Ein weiches Lächeln überzog das Gesicht der Frau. War eine schöne Frau, das musste Horndeich nun objektiv zugeben.
»Ach, erst drei Monate. Aber – es ist so, als würden wir uns schon ewig kennen. Er ist ein wirklich toller Mann. Wissen Sie, wir lieben beide klassiche Musik. Er ist ein Mann, mit dem ich zusammen zu Konzerten gehen kann. Toll.«
»Ja. Und er hat auch schon mehrfach erwähnt, wie gut das Essen bei Ihnen ist.«
Danuta errötete. Nickte in Richtung Feinkosttheke. »Da haben Sie früher auch immer mal wieder was gekauft, wenn ich mich richtig erinnere. Na ja, Hauptsache ist doch, dass es schmeckt, oder?«
Horndeich konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er war sicher, dass Hinrich einen solchen Schwindel kaum zu verzeihen bereit wäre.
Danuta schien das Grinsen richtig zu interpretieren. »Sie verpetzen mich nicht bei unserem gemeinsamen Freund?«
»Nein, nein, ich kann schweigen wie ein Grab.«
Horndeich zahlte die Gewürze, dann fuhr er nach Hause.
Sandra hatte gekocht. Linsensuppe mit Spätzle und Saitenwürstchen. Hatte er sich gewünscht.
»Hast du mit Margot sprechen können?«
»Nein. Sie ist noch in Ostfriesland und macht einen auf zickig. Ich denke, wir können erst mit ihr reden, wenn sie wieder hier ist.«
Nach dem Essen ging Horndeich in den ersten Stock hinauf, in dem ihr gemeinsames Arbeitszimmer lag.
Sie teilten sich einen Schreibtisch, hatten aber beide einen eigenen Rollcontainer. Horndeich öffnete die unterste Schublade. Das Kästchen mit den Visitenkarten lag erwartungsgemäß ganz hinten.
Er griff nach der grün-silbernen Blechkiste mit der Aufschrift »Echte Langenburger Wibele«. Als Kind hatte er die kleinen Biskuitkekse in Form einer Acht geliebt, die die Kiste als Erste bevölkerten. Danach hatte er die Blechkiste als Schatztruhe in Ehren gehalten.
Nun öffnete er sie. Sie war fast bis obenhin gefüllt mit Visitenkarten.
Horndeich seufzte. Vielleicht sollte er sich einmal ein alternatives Ablagesystem ausdenken.
Die grobe Vorsortierung war nicht allzu schwer. Die Visitenkarte, die er suchte, war mit kyrillischen Buchstaben beschrieben.
Er hatte sie auf einer Hochzeitsfeier bekommen. Als er mit Anna in der Ukraine gewesen war. Drei Jahre war das jetzt her, dass sie in der Nähe von Uschgorod gefeiert hatten. Drei Tage lang. Uschgorod war eine der Partnerstädte von Darmstadt. Und jedes Jahr reiste von dort eine Delegation an, zum Weihnachtsmarkt und manchmal auch zum Heinerfest, Darmstadts großem Stadtfest. Zu dieser Delegation gehörten immer die beiden Schwestern Tatjana und Irina Steschtschowa. Manchmal war die dritte Schwester, Natalija, auch mit von der Partie oder der Bruder Igor. Wenn die Steschtschowas in der Stadt waren, hatten sie sich immer auch mit Anna – und später mit Anna und Horndeich – getroffen. Weshalb Igor sie seinerzeit auch zu seiner Hochzeit eingeladen hatte.
Für Horndeich war es das erste Mal gewesen, dass er die Partnerstadt in der Ukraine besucht hatte. Die eigentliche Hochzeit hatte am Freitagmorgen angefangen. Igors Familie und Freunde waren aus dem ganzen Land angereist. Horndeichs Russischkenntnisse waren in diesen Tagen noch sehr spärlich. Er hatte sich daher zunächst nur mit Wladimir unterhalten, einem Cousin aus der Mitte des Landes. Horndeich erinnerte sich nicht mehr an den Namen der Stadt, aus der er kam, aber Wlad, wie ihn alle nannten, sprach ein bisschen Deutsch und Englisch. Und er war Polizist in seiner Stadt. Horndeich hatte sich bis zum Sonntagabend mehrfach mit ihm ausgetauscht. Seine Frau – Oksana – sprach auch etwas Deutsch, so hatte auch sie sich mit ihm unterhalten. Sie war einmal in Frankfurt gewesen und wollte wissen, wie es dort jetzt aussah. Es hatte ein paar Minuten gedauert, bis Horndeich kapierte, dass sie von Frankfurt an der Oder sprach.
Die Feier war ein rauschendes Fest
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