Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
standen.
Am anderen Ende des Raums warteten vor einer großen goldenen Tür erlesen gekleidete junge Frauen, die miteinander tuschelten und lachten.
Eine riesige Punschschale aus Kristall in der Nähe des Orchesters war dicht umlagert. Luce nahm sich ein Glas.
»Verzeiht?«, fragte sie zwei Frauen neben sich. Ihre kunstvollen grauen Locken bildeten Zwillingstürme auf ihren Köpfen. »Warum haben sich diese Mädchen dort aufgereiht?«
»Natürlich, um dem König zu gefallen.« Eine Frau kicherte. »Diese demoiselles sind hier, um festzustellen, ob sie ihm so gut gefallen, dass er sie heiraten will.«
Heiraten? Aber sie sahen so jung aus. Plötzlich fühlte Luce’ Haut sich ganz heiß und klebrig an. Dann traf es sie: Lys steht in dieser Reihe.
Luce schluckte und musterte die jungen Frauen. Da war sie, die dritte von vorne, prachtvoll in ein langes schwarzes Gewand gehüllt, das sich nur geringfügig von dem unterschied, das Luce selber trug. Darüber hatte sie ein Schultercape aus schwarzem Samt gelegt und ihr Blick war die ganze Zeit über auf den Boden geheftet. Sie lachte nicht mit den anderen Mädchen. Sie wirkte so frustriert, wie Luce sich fühlte.
»Bill«, flüsterte sie.
Der Gargoyle flog direkt vor ihr Gesicht und brachte sie mit einem Finger auf seinen fetten Steinlippen zum Schweigen. »Nur Verrückte reden mit ihren unsichtbaren Gargoyles«, zischte er, »und Verrückte werden nicht oft zu Bällen eingeladen. Also, sei still.«
»Aber was ist mit …«
»Still.«
Was war mit 3D?
Luce holte tief Luft. Als Letztes hatte er sie angewiesen, Lys an der Hand zu nehmen …
Sie durchquerte den Tanzsaal, vorbei an den Dienern, die schwer beladene Tabletts mit Gänseleber und Chambord trugen. Beinahe wäre sie mit dem Mädchen hinter Lys zusammengestoßen, das versuchte, sich in der Schlange vor Lys zu drängeln, indem es so tat, als flüstere es einer Freundin etwas zu.
»Entschuldigt«, sagte Luce zu Lys, deren Augen sich weiteten. Dann öffnete sie die Lippen und stieß einen kleinen verwirrten Laut aus.
Aber Luce konnte nicht darauf warten, dass Lys reagierte. Sie nahm ihre Hand. Sie passte in ihre eigene wie ein Puzzlestück. Sie drückte sie.
Luce wurde flau im Magen, als sei sie gerade den ersten Berg einer Achterbahn hinuntergefahren. Ihre Haut begann zu vibrieren, und sie fühlte sich schläfrig, als würde sie sanft geschaukelt. Ihre Lider flatterten, doch ein Instinkt sagte ihr, dass sie Lys’ Hand festhalten musste.
Sie blinzelte, und Lys blinzelte, und dann blinzelten sie beide gleichzeitig – und Luce konnte sich selbst in Lys’ Augen sehen … und dann konnte sie Lys aus ihren eigenen Augen sehen … und dann …
Dann konnte sie überhaupt niemanden mehr vor sich sehen.
»Oh!«, rief sie aus, und ihre Stimme klang genauso wie immer. Sie blickte auf ihre Hände hinab, die genauso aussahen wie immer. Sie betastete ihr Gesicht, ihr Haar, ihre Perücke. Alles fühlte sich genauso an wie zuvor. Aber etwas … irgendetwas hatte sich verändert.
Sie hob den Saum ihres Kleides und spähte auf ihre Schuhe hinab.
Sie waren tiefrot. Mit rautenförmigen hohen Absätzen und am Knöchel mit einer eleganten silbernen Schleife zugeschnürt.
Was hatte sie getan?
Dann begriff sie, was Bill mit 3 D gemeint hatte.
Sie war buchstäblich in Lys’ Körper getreten.
Panisch sah Luce sich um. Zu ihrem Entsetzen standen die anderen Mädchen in der Schlange regungslos da. Überhaupt war jeder, den Luce ansah, vollkommen erstarrt. Es war, als habe jemand bei der Party auf die Stopp-Taste gedrückt.
»Siehst du?« Bills Stimme drang ihr heiß ans Ohr. »Dafür gibt es keine Worte, stimmt’s?«
»Was geht hier vor, Bill?« Ihre Stimme wurde lauter.
»Jetzt gerade nicht besonders viel. Ich musste die Party unterbrechen, für den Fall, dass du ausflippst. Sobald wir die 3 D -Sache kapiert haben, werde ich sie wieder starten.«
»Also … kann niemand das jetzt sehen?«, fragte Luce und wedelte langsam mit der Hand vor dem Gesicht der hübschen Brünetten herum, die vor Lys gestanden hatte. Das Mädchen zuckte mit keiner Wimper. Sie blinzelte nicht. Ihr Gesicht war zu einem endlosen Grinsen mit offenem Mund erstarrt.
»Nö.« Bill demonstrierte es, indem er mit der Zunge neben dem Ohr eines älteren Mannes wackelte, der wie erstarrt einen escargot mit den Fingern zum Mund führte. »Nicht, bis ich mit den Fingern schnippe.«
Luce atmete aus und war einmal mehr seltsam erleichtert darüber, Bills
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