Engelsfluch
Sie?«
»Und Sie, Vanessa? Was wollten Sie werden?«
»Kein Kommentar.«
»Wir wollten doch offen zueinander sein!«, ermahnte er sie.
»Na ja, ich wollte mal Fotomodell werden.«
»Und warum haben Sie sich anders entschieden?«
Jetzt grinste Vanessa. »Wenn Sie wollen, können Sie ein richtiger Charmeur sein. Wenn Sie gerade so freundlich sind, muss ich das ausnutzen. Werden Sie mich zu dem Einsiedler mitnehmen?«
»Kommt drauf an.«
»Worauf?«
»Was Sie vorhaben. Nehmen wir einmal an, Angelo trifft sich mit Ihnen und stellt sich als der Gesuchte heraus. Falls er Ihnen die Wahrheit über die mysteriöse Prophezeiung erzählt, was machen Sie dann mit der Information?«
»Sie kommt selbstverständlich in das Buch, das ich schreibe.«
»Wie? Keine eigennützigen Motive?«
»Ich bin ein Engel«, flötete sie lächelnd. »April, April, natürlich denke ich auch an mich. Ich möchte, dass mein Buch ein Knaller wird, zumindest in der theologischen Fachwelt.
Vielleicht dürfen Sie dann in Kürze schon Frau Professor zu mir sagen.«
»Ich denke, mit dieser Eigennützigkeit kann ich leben. Also gut, sobald das Wetter besser wird, hoffentlich schon morgen nehme ich Sie mit in die Berge.«
Sie beugte sich über den Tisch und küsste Enrico auf die Wange. Er empfand die Berührung und das Kitzeln ihrer Haare in seinem Gesicht nicht als unangenehm – im Gegenteil.
14
Rom, Montag, 28. September
Die Scheibenwischer sprangen in der höchsten Geschwindigkeitsstufe hin und her, und trotzdem sah er kaum fünf Meter weit. Ein Unwetter war vor ein paar Stunden nicht nur über Rom, sondern über weite Teile Italiens hereingebrochen.
Wer nicht unbedingt vor die Tür musste, blieb zu Hause. Die Straßen waren so leer wie selten in Rom, und das war auch gut so. Andernfalls wäre er vermutlich längst in einen Unfall verwickelt gewesen. Wieder durchbrach ein Blitz das Grau-Schwarz des wolkenverhangenen Himmels, und fast gleichzeitig schlug etwas gegen seine Windschutzscheibe. Es war ein heruntergerissener Ast, der auf der Scheibe einen kleinen Sprung hinterließ.
Alexander fluchte laut und nahm den rechten Fuß noch mehr vom Gaspedal, bis er fast mit Schrittgeschwindigkeit über das unebene Pflaster der Via Appia rumpelte. Vermutlich kam er zu spät zu seiner Verabredung, aber dafür sollte Werner Schardt bei diesem Wetter Verständnis haben. Er hatte es sehr wichtig gemacht, als er Alexander am Nachmittag anrief. Schardt hatte gesagt, er habe einen Hinweis auf die Identität der Priestermörder. Näheres hatte er weder am Telefon sagen wollen, noch war er bereit gewesen, Alexander in der Stadt zu treffen. Er schien sich regelrecht zu fürchten und hatte als Treffpunkt das Restaurant »Antico« vorgeschlagen, das an der Via Appia Antica lag, der alten römischen Konsularstraße.
Immer wieder knackte abgerissenes Astwerk unter den Reifen, während Alexander durch eine Welt fuhr, die nur aus seinem Wagen, einem kleinen Stück Straße und den hohen Pinien und Zypressen zu beiden Seiten zu bestehen schien, die ein düsteres, fast schon außerhalb seines Blickfelds verschwimmendes Spalier bildeten. Beinah hätte er die kleine Abzweigung verpasst, an der ein Schild auf das »Antico« hinwies. Der Weg zum Restaurant sollte achthundert Meter betragen, aber Alexander, der zum ersten Mal hier war, kam er doppelt so lang vor. Die Zufahrt war von hohen Hecken eingefasst und mündete auf einen großen, vollkommen leeren Parkplatz, neben dem sich ein Gebäude im Stil einer alten römischen Villa erhob. Dass es ein Neubau war, sah man bei dem schlechten Wetter kaum.
Soweit Alexander wusste, hatte das »Antico« erst vor zwei oder drei Monaten seine Pforten geöffnet. Die Laternen, die den Parkplatz säumten, waren nicht eingeschaltet, und auch das Restaurant war in Dunkelheit gehüllt. Alexander hielt den Peugeot vor der Eingangstür an, stieß die Fahrertür auf und erreichte mit zwei schnellen Schritten das schützende gläserne Vordach, auf das wütend der Regen trommelte. Im Restaurant war tatsächlich alles dunkel, und an der Tür hing ein großes Schild: »Montags Ruhetag«. Alexander drehte sich langsam im Kreis und suchte den Parkplatz ab, konnte aber weder ein Fahrzeug noch Werner Schardt entdecken. Ärger stieg in ihm hoch. Falls Schardt es angesichts des Wetters vorgezogen hatte, im Gardequartier zu bleiben, hätte er Alexander zumindest Bescheid geben können. Ein neuer Gedanke verdrängte rasch den Ärger: Hatte man
Weitere Kostenlose Bücher