Engelsgesang
kümmert … vielleicht seine Eltern.“
„NEIN“, Ángel hatte sich blitzschnell aufgesetzt. Seine Augen waren angstgeweitet. „Nein, nicht meinen Vater rufen!“
„Keine Sorge, wir rufen nicht deinen Vater“, erwiderte Dr. Heyenberg ruhig und veranlasste Ángel dazu, sich wieder hinzulegen. Dann kramte er in seinem Arztkoffer herum und holte ein Spritzenbesteck heraus.
„Ich werde diesen Mann anrufen, bei dem er momentan wohnt“, überlegte Valerie. Sie stand noch immer mit verschränkten Armen an der Tür.
„Gut, machen Sie das. Ich spritze ihm jetzt ein leichtes Beruhigungsmittel. Sie sollten aber so lange bei ihm bleiben, bis dieser Mann da ist. Sie wollen doch sicher kein Risiko eingehen?“
„Nein, das will ich nicht.“ Valerie kramte in ihrer Kommode herum und drückte dem Arzt einige Scheine in die Hand. „Das ist für Ihr schnelles Kommen und Ihre spontane Hilfe. Sie bewahren doch Stillschweigen über das hier?“
Der Arzt sah auf das Geld in seiner Hand und nickte stumm. Dann packte er seinen Koffer zusammen. Als er das Haus verlassen hatte, ging Valerie ins Schlafzimmer zurück. Sie lehnte sich an den Türrahmen und sah mit einem kühlen Blick auf Ángel herab.
„Wenn ich das gewusst hätte …“, flüsterte sie. „Nun … Jetzt besorg ich dir erst einmal deinen Babysitter.“
Sie wählte die Nummer, die unter Ángels Namen in ihrem Handy abgespeichert war und wartete darauf, dass am anderen Ende jemand abnahm.
Dass dieser Abend so lästig enden würde, hätte sie nie gedacht, aber vielleicht ließ sich ja auch daraus noch eine amüsante Geschichte stricken. Sie liebte amüsante Geschichten. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, das ihre eisgrauen Augen jedoch nicht erwärmte.
34.
34.
Ein Traum hielt Ángel gefangen.
Doch für ihn fühlte es sich nicht wie ein Traum an. Alles war so wirklich. Er hörte keuchenden Atem und hatte den Geruch eines teuren After Shave in der Nase, der von Terpentindämpfen überlagert wurde.
Eine kräftige Hand lag in seinem Nacken und drückte sein Gesicht an die kalte Wand. Heisere Worte wurden in sein Ohr geflüstert, die er nicht verstand, da Panik jeden Nerv seines Körpers gelähmt hatte. Jemand presste sich an ihn und nahm ihm jegliche Bewegungsfreiheit. Als eine weitere Hand an seiner Kleidung zu nesteln begann, stieg ein Wimmern in ihm auf.
„Halts Maul, du Hurensohn“, ein Faustschlag ließ seinen Kopf gegen die Mauer krachen. „Ich werde dich auseinandernehmen.“
Die derbe Hand riss beim Versuch seine Hose zu öffnen, den Gürtel aus den Schlaufen. „Und weißt du auch, warum ich das tun werde? Du siehst mir so verdammt ähnlich … und ich wollte mich schon immer mal selber ficken …“
Ángels Körper verkrampfte sich und er hörte sich winseln: „Nein, bitte nicht … Vater …“
Er riss die Augen auf. Das Kopfkissen unter ihm war von Tränen nass. Eine Hand lag auf seinem Rücken und rüttelte ihn leicht.
„Wach auf, Angel. Es ist nur ein Traum. Wach auf.“
Erschrocken drehte sich Ángel um und sah Wolfgang neben sich auf dem Boden sitzen. „Alles ist gut. Beruhige dich wieder.“
Ángel setzte sich auf und vergrub die Finger in seinen Haaren.
„Möchtest du mir etwas erzählen?“
Stumm schüttelte Ángel den Kopf.
„Du solltest darüber nachdenken, es zu tun. Angel, so kann es doch nicht weitergehen. Bevor du es dir nicht von der Seele geredet hast, wird es dich nicht in Ruhe lassen.“
„Ich hab mich schon wieder unter Kontrolle. Danke für deine Anteilnahme, Wolfgang.“
Ángels harte Worte ließen Wolfgang zurücktaumeln. Trotzdem gab er nicht auf und hakte nochmals nach. „Angel, sogar diese seltsame Fotografin hat letztens gesagt, dass du Hilfe brauchst.“
„Ich sag doch, ich habe alles wieder im Griff. Und glaube nur nicht, dass ich zum Seelenklempner gehe, nur weil jetzt auch Valerie davon redet. Ich kriege das allein hin.“ Ángel stand auf, griff nach seinen Klamotten und verschwand in dem kleinen Bad. Wolfgang sah ihm kopfschüttelnd nach.
Wie lange brauchte man, um sich von einem Nervenzusammenbruch zu erholen? Er wusste es nicht, aber er war sicher, dass die zwei Tage, die Ángel sich als Auszeit genommen hatte, auf keinen Fall ausreichend waren. In der Nacht quälte den Jungen immer wieder derselbe Traum. Wolfgang wusste nicht, worum es darin ging, aber dass es etwas mit seinem Vater zu tun hatte, war unüberhörbar. Und immer wieder suchte Ángel sein Heil in der Flucht. Wie lange
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