Engpass
er zu ihr getreten. Hatte sie in den Arm genommen.
›Ich verlasse dich!‹, hatte sie ihm da zugeraunt. Es war mehr ein Hauchen gewesen als Sprechen. Aber ihre Mitteilung hatte trotz allem Gewicht gehabt. Er hatte es sofort gewusst, als sie es ausgesprochen hatte. Sie geht. Sie kommt nicht wieder. Sie geht zu Fred Maihauser. Sein Name aus ihrem Mund war ihr endgültiges Todesurteil gewesen. Natürlich hatte er geahnt, dass sie eine Affäre hatte. Geahnt, nicht gewusst. Wenn es so sein soll, werde ich das Ende dieser unsäglichen Geschichte abwarten, hatte er sich selbst vorgeschlagen. Jetzt, nach Anongs Worten, gab es nichts mehr zu warten.
Durch die geschlossenen Jalousien hatte die Abendsonne dünne Scheiben Licht geworfen. In denen hatte der Staub zu tanzen begonnen wie auch seine Gehirnzellen. Seine Wut war einem Walzer entsprungen und hatte in einem Tango geendet. Mit einer waagerechten Handbewegung hatte er seiner Frau das Wort abgeschnitten. Aber da hatte ohnehin kein einziges mehr in ihrem Mund gelegen, das seiner würdig gewesen wäre. Er hatte gespürt, wie er die Fäuste in die Hosentaschen bohrte. Fest, unbarmherzig fest.
Er trug den blauen Anzug, dazu ein weißes Einstecktuch aus Seide. Dass ihr Lächeln je erlischt, hätte er nicht für möglich gehalten. Das wäre ihm extrem unpassend erschienen. Aber sie hatte es getan. Hatte mit einem ihm vorenthaltenen Lächeln alle anderen zuvor zunichte gemacht.
Sein weinerlich-wässriger Blick war ihrem erloschenen Lächeln gefolgt. Er versuchte noch, den Tag zu rekonstruieren, an dem sein Glück ins Unglück gekippt war. Ihm war kein Tag je so wichtig erschienen, dass er sich recht an ihn erinnern konnte. An die Gefühlslage jener Tage. Weder seiner eigenen, noch viel weniger der seiner vietnamesischen Frau. Doch er konnte die Situation, wie sie nun mal war, nicht zur Kenntnis nehmen. Er musste etwas tun. Denn er war ein Macher-Typ.
Seiner lieb gewordenen Routine, dass das Leben ihm gab, was er verlangte, musste er nun abschwören. Alles war unüberblickbar geworden. Am liebsten hätte er Aurelia mit seinem Leib belegt. Seiner Schwere. Und so tat er es. Er hievte sich auf sie hinauf. Sein blauer Anzug auf ihren schmächtigen, verwundeten Leib, der in einer hellrosa Bluse steckte, die mit rotem, frischem Blut verunstaltet war. Er presste sich ihr entgegen. Lag und presste. Enger und fester. Lang und länger. Er presste ihr den letzten Lufthauch aus dem Körper. Bis ihr Atmen und Sehen vergangen war. Danach: der Tod!
Er hatte ahnungslos dagehockt. Weil er so eine Situation noch nicht kannte. Das Leben war ihm unter den Fingern zerronnen. Zwei Leben auf einen Streich.
Seine elende Beschränktheit hatte sie, seine Frau, gerichtet. Und ihn selbst dazu. Er wusste es plötzlich. Alles fiel von ihm ab, als er es entdeckte. Sein Leben war nie schwer und ungerecht gewesen. Das hatte er sich lediglich eingebildet, weil er etwas erdacht, verlangt und beurteilt hatte.
Sein Countdown findet, es könnte nicht schlüssiger sein, im Beisein einer Frau statt. Frauen verfolgen ihn, ohne dass er sie gerufen hätte.
Elsa Wegener steht hinter der Tür. Ihre Dienstwaffe in der Hand. Sie wird nicht zögern. Er weiß es.
Götz Bramlitz schlägt die Bibel, die er vor sich hingelegt hat, an irgendeiner Stelle auf. Leise beginnt er sich vorzulesen: ›Und geht es auch durchs dunkle Tal. Ich habe keine Angst! Du, Herr, bist bei mir; du schützt mich und führst mich, das macht mir Mut.‹
Bramlitz schlägt das berühmteste Buch der Welt zu und schiebt es von sich weg. Als er es so vor sich liegen sieht, weiß er, dass etwas nicht stimmt. Er steht noch einmal auf und verstaut es in seinem Aktenschrank. Ihm graust bei dem Gedanken, es könnte mit seinem Blut beschmutzt werden.
Seine Pistole ist entsichert. Was fehlt, ist der Schuss. Das laute Auspusten seiner Existenz. Vor den Augen der Kriminalpsychologin aus Köln. Die sich in alles eingemischt hatte, was sein Leben bedeutete. Und das der anderen. Ach was, die anderen interessierten ihn nicht länger. Und selbst er war vor sich selbst in Deckung gegangen. Verschwunden hinter dem Berg seiner Einbildung. Er muss sein Leben auf diese Art und zu dieser Stunde beschließen.
Bramlitz hadert nicht länger mit seiner Version des Schicksals. Der, die er sich eingebildet hatte und die ihren Höhepunkt forderte. Er steckt sich den Lauf der Pistole in den halb geöffneten Mund. Und wartet. Auf Elsa Wegener.
Die kündigt ihr Kommen an,
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