Entflammt

klar?«
    Die Zirkel, an denen ich in den letzten Wochen teilgenommen hatte, waren sehr unterschiedlich gewesen, aber ihreGrundform war immer gleich. Es waren große Gruppenzirkel draußen gewesen, der kleine zwei-Personen-Zirkel mit River und ein paar kleinere mit anderen Schülern. Ich fürchtete mich zwar immer noch davor, aber ein Teil von mir fing auch an, es zu genießen - diesen Rausch der Macht, die Schönheit, die kurzen Einblicke in kosmische Wahrheiten, die an den Rändern herumtanzten ... und wenn die Schutzzauber, die meine Konzentration und Kraft in geregelte Bahnen leiten sollten, weiterhin ihre Wirkung taten, würde ich vielleicht sogar mein Abendessen dort behalten, wo es hingehörte. »Schließt die Augen, haltet eure Steine und greift auf eure Kraft zu«, sagte Anne.
    Ich hatte immer noch keine unfehlbare Methode gefunden, »auf meine Kraft zuzugreifen«. Meistens saß ich nur da, dachte an alles Mögliche und hoffte, dass sie irgendwann auftauchte. Ich lauschte Annes unglaublich beruhigender Stimme und versuchte, nicht an das saure Gefühl im Magen zu denken, das ich jedes Mal hatte, wenn ich Reyn und Nell zusammen sah. Ich machte mir klar, wie - lächerlich war eigentlichnoch harmlos ausgedrückt - es war, überhaupt einen Gedanken an den Winterschlächter zu verschwenden, und fühlte das warme Gewicht meines Steins in meiner Hand. Irgendwann fing ich an zu summen, eine sehr alte Melodie, die mir einfach so in den Kopf kam, und ich stimmte sie auf Annes Stimme ab. Meine Melodie fühlte sich dick und dunkel und alt an, wie eine uralte Baumwurzel, die hinabreicht bis in den Mittelpunkt der Erde.
    Ich hatte keine Ahnung, woher das kam - ich war plötzlich ein kleiner magischer Kobold und spürte meine Erdwurzeln, la la la ...
    Ich kann nur beschreiben, wie es sich anfühlte. Und so fühlte es sich nun mal an, auch wenn das total bekloppt klingt.
    Wiegte ich mich hin und her? Es fühlte sich jedenfalls so an. Ich konnte Charles' Knie nicht mehr fühlen und auch nicht das von Rachel, obwohl sie meine Knie berührten. Ich spürte auch meinen knochigen Hintern nicht mehr, der auf dem harten Fußboden allmählich taub wurde. Mein Stein wurde wärmer und schwerer, und je mehr ich darüber nachdachte, desto glücklicher wurde ich. Ich machte den Mund auf und fing an, meine Melodie tatsächlich zu singen, ließ sie durch die Erde, durch mich hinaus in die Luft. Sie war dick und stark, erfüllte meine Brust und kam ohne Mühe aus meinem Mund heraus. Ohne dass ich es bemerkt hatte, war mein Gesang richtig schön und sehr kraftvoll geworden. Ich hatte jetzt das Gefühl, ihn zu kennen, und wie durch einen gleißenden Blitz sah ich plötzlich meine Mutter, die dasselbe Lied sang, während sie irgendein Ritual vollzog. Meine Mutter. »Oh!« Es gab einen Aufschrei, etwas krachte, und meine Augen flogen auf. Mein Stein fühlte sich so schwer an, dass meine Hand auf den Boden fiel. Der Mondstein war ganz heiß.
    Ich sah mich um und entdeckte Nell. Sie machte große Augen und ihr Mund stand offen. Die Silberschale und die Kerze waren umgeworfen. Ein dünnes Rinnsal aus heißem Wachs hatte seinen Weg in das verschüttete Salz gefunden. »Was ist passiert?« Anne war besorgt und sah uns der Reihe nach prüfend an.
    »Mein Stein!« Nell öffnete ihre Hand und ich blinzelte das kleine Häufchen blauweißes Pulver verblüfft an. Der Stein war zu Staub zerfallen, pulverisiert. Aber Sodalith ist doch ein ziemlich hartes Zeug, oder?
    »Was ist passiert?«, fragte Anne noch einmal.
    Nell richtete ihre Augen, die plötzlich hasserfüllt blitzten, auf mich. »Das warst du! Du hast meinen Stein kaputt gemacht! Ich habe deinen Gesang gehört - er war böse! Er war wie eine schwarze Wolke, die den ganzen Raum verpestet hat! Du bist schlecht! Du bist dunkel!«
    Noch vor zwei Monaten hätte ich eine solche Anschuldigung mit einem Schulterzucken abgetan oder sogar darüber gelacht. Sie wäre ohne jede Bedeutung für mich gewesen. »Nein, nein, bin ich nicht«, stammelte ich. In mir wisperte die berühmte innere Stimme Hoffst du zumindest. »Bin ich nicht«, wiederholte ich energischer. »Ich habe gar nichts mit meinem Gesang gemacht - nur versucht, Verbindung zu meinem Stein aufzunehmen.« Ich schaute hinunter auf meine Hand, die immer noch vom Stein auf den Boden gedrückt wurde. Einen Moment lang fühlte es sich an, als würde das kleine Ding zehn Kilo wiegen - aber