Entfuehrung nach Gretna Green
große Sattelkammer gab. Das ganze Gebäude wurde von einem erstaunlich leistungsfähigen Holzofen beheizt, der in sicherem Abstand zu den Heuvorräten stand.
Venetia trat in die behagliche Wärme der Scheune, wo sie Gregors Reitknecht Chambers und Mr. Treadwells Stallburschen antraf. Interessiert sah sie sich jedes der Pferde an und ließ sich von Chambers die Verletzungen und die Behandlung erklären. Er hatte bereits die meisten Wunden gesäubert und dort, wo es nötig war, einen Verband angelegt.
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Knechte mit allem Notwendigen versorgt waren, um mit der Behandlung der Pferde fortzufahren, trat sie aus dem Stall wieder nach draußen. Mit einem Lächeln auf den Lippen hob sie ihr Gesicht der Sonne entgegen, schloss die Augen und spürte, wie sie innerlich ganz ruhig wurde.
„Du solltest dort nicht stehen.“
Als sie die vertraute Stimme hörte, war es schlagartig mit ihrer inneren Ruhe vorbei. Sie riss die Augen auf und stellte fest, dass Gregor direkt vor ihr stand. Er trug seinen langen Mantel, einen roten Schal und einen Hut, der seine Augen beschattete.
„Warum soll ich hier nicht stehen?“, wollte sie von ihm wissen.
Er nahm sie bei der Hand und zog sie vorwärts, während er die Lippen zu einem Lächeln verzog. „Sieh nach unten.“
Unter der Dachrinne des Stallgebäudes lag ein Friedhof aus zahllosen Eiszapfen, die alle mit der Spitze tief im Schnee steckten. „Oh“, machte Venetia erschrocken. Bei der Vorstellung, eines der langen, spitzen Eisstücke hätte sie treffen können, erschauderte sie.
„Sie sind alle heute Morgen heruntergefallen.“ Gregor legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben. „Viele sind nicht mehr übrig, aber ich würde trotzdem nicht unnötig lange unter der Dachrinne stehen bleiben.“
„Ich werde in Zukunft besser auf passen“, sagte sie leichthin, da sie sich schon wieder von ihrem Schreck erholt hatte. Gleichzeitig stellte sie fest, dass das Grün von Gregors Augen im Sonnenlicht heller war als gewöhnlich: Er hatte wirklich wunderschöne Augen mit langen Wimpern, die seinen Blick verschleierten und ihm gleichzeitig mehr Ausdruck verliehen.
Kurz bevor er sie am vergangenen Abend geküsst hatte, war die Farbe seiner Augen dunkler geworden. Ein Schauer durchlief sie, und plötzlich durchlebte sie jede einzelne Sekunde dieses Kusses noch einmal, auch die Hitze, die ihren ganzen Körper in Flammen gesetzt hatte und ...
Großer Gott! Was war nur los mit ihr? Sie presste ihre behandschuhten Finger in ihre Handflächen, um die Gedanken und Vorstellungen zum Verschwinden zu bringen.
Gregor sah sie erstaunt an. „Was ist los?“
Ohne ihn anzusehen, schüttelte sie den Kopf. „Ich dachte nur an die gefährlichen Eiszapfen, und was für ein Glück es ist, dass du vorbeikamst und mich warnen konntest.“
Er zog die Mundwinkel zur Andeutung eines Lächelns hoch. „Ich bin vor Kurzem zu der Erkenntnis gelangt, dass die einzige Gefahr, vor der man dich warnen muss, du selber bist.“ Er sah an ihr vorbei in Richtung Stall. „Wie geht es den Pferden?“
„Besser, als ich befürchtet habe. Dein neuer Reitknecht Chambers ist gut in seinem Fach.“
„Das sollte er auch sein, wenn ich bedenke, was ich ihm bezahle.“
„Oh? Wie viel zahlst du ihm denn?“
Gregor zog die Brauen hoch. „Denkst du darüber nach, ihn abzuwerben?“
„Vielleicht“, erwiderte sie verschmitzt. Es war ein alter Witz zwischen ihnen, dass sie vorgaben, einander die Diener wegnehmen zu wollen. Es war Venetia nie gelungen, einen von Gregors vorzüglichen Stallburschen oder Reitknechten abzuwerben, aber sie hatte es versucht, mehr um ihn zu necken, als aus irgendeinem anderen Grund.
Sein Blick war an ihren Lippen hängen geblieben. „Ich bin froh, dass du wieder wie früher bist.“
„Ich war nie anders“, erwiderte sie scharf.
In den Tiefen seiner Augen flackerte es kurz auf, dann wandte er sich ab und sah hinüber zum Stall. „Mir war klar, dass es dir nicht gelingen würde, dich längere Zeit von den Pferden fernzuhalten.“
„Ich würde furchtbar gern reiten“, verriet sie ihm in sehnsüchtigem Ton. Die schneebedeckten Wälder rings um den Gasthof schienen nach ihr zu rufen.
„Warum tun wir es dann nicht?“
„Ich habe mein Reitkostüm nicht dabei“, erklärte sie seufzend. „Ich dachte, Mutter sei krank, und daher erwartete ich nicht, Zeit zum Reiten zu finden.“
Gregor griff nach ihrem Arm, zog ihn unter seinen und legte
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