Entrissen
erklärt, wie gut sie in ihrem Job war und wessen Stelle sie haben wollte. Selbstverständlich hatte er ihr in allem zugestimmt. Der andere Mitarbeiter müsste gefeuert werden, würde er das tun? Aber sicher. Und dann würde sie den Job bekommen? Ja. Ja. Ja! Sie hatte gelächelt. Gut.
Erst dann hatte sie ihm erlaubt zu kommen.
Er zog den Schlüssel aus der Zündung, schnappte sich seine Aktentasche und stieg aus. Er war immer noch wie im Taumel, fühlte sich wie ein neuer Mensch.
Als er nun die Einfahrt zum Haus hochging, kam ihm wieder das Versprechen in den Sinn, das er ihr gegeben hatte. Natürlich lag es gar nicht in seinem Kompetenzbereich, Mitarbeiter zu entlassen oder einzustellen. Aber das wusste Erin nicht. Also gut, vielleicht hatte er seine Position innerhalb der Firma ihr gegenüber etwas übertrieben dargestellt. Und wenn schon. Das machten doch alle Männer. Erst recht, wenn es darum ging, eine Frau zu beeindrucken. Ja, er hatte ihr die Stelle versprochen, und sie hatte ihn beim Abschied erneut an sein Versprechen erinnert - na und? Was sollte sie schon tun? Er würde sie eine Weile vertrösten, ihr sagen, dass solche Dinge Zeit brauchten, dass es bestimmte Verfahrensweisen gebe, die eingehalten werden mussten, aber sie solle sich keine Sorgen machen. Sie würde die Stelle bekommen. Immer mit der Ruhe. Genau. Er würde sie einfach hinhalten. Und in der Zwischenzeit ...
Er grinste. Das Beste war, dass er den gesamten Nachmittag, inklusive seiner Einkäufe, über sein Spesenkonto abrechnen konnte. Das war allemal besser, als dafür zu bezahlen.
Doch nun, während er sich dem Haus näherte, hatte er das Gefühl, als würde sich eine dunkle Wolke über ihn senken. Mit jedem Schritt wurde die Wolke dichter und schwärzer. Als er den Schlüssel ins Schloss steckte, war sie pechschwarz. Widerwillig zwang er sich dazu, alle Gedanken an Erin aus seinem Kopf zu verbannen, während er sich auf das Zusammentreffen mit Caroline vorbereitete. Eine Ausrede für sein Zuspätkommen würde sich schnell finden lassen: ein Meeting, das länger gedauert hatte als geplant, ein Klient, mit dem er sich kurzfristig hatte treffen müssen - das Übliche. Aber wenn er ehrlich war, war es ihm vollkommen egal, ob sie ihm glaubte oder nicht. Er hatte genug von ihrem blassen, leidenden Gesicht, von ihrem aufgedunsenen Körper, den sie müde durchs Haus schleppte, von ihrer ewig schlechten Laune. Kein Vergleich zu Erin. Vor der Schwangerschaft hätte sie vielleicht mit ihr mithalten können. Vor der ersten. Aber jetzt? Wie lange sollte das noch so weitergehen? Darüber musste er sich ernsthaft Gedanken machen.
Er schloss die Haustür auf. Seufzend trat er über die Schwelle. Sollte er nach ihr rufen? Ihr sagen, dass er zu Hause war? Nein. Womöglich schlief sie. Hoffentlich.
Wie immer legte er seine Schlüssel auf das Tischchen in der Halle. Im Flur war es dunkel. Er drückte auf den Lichtschalter, aber nichts geschah. Verwirrt ging er weiter und öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Er war auf Streit und schlechte Laune gefasst, mit der er üblicherweise begrüßt wurde, wenn er von der Arbeit kam.
Aber darauf war er nicht gefasst.
Im Wohnzimmer brannte Licht.
Er schrie.
Und schrie und schrie und schrie.
50
Clayton nahm einen tiefen Zug von seiner Marlboro Light, hielt den Rauch in der Lunge, atmete dann langsam aus und merkte, wie sein Körper sich entspannte. Er stand auf dem Parkplatz hinter dem Polizeigebäude, an seinen BMW gelehnt. Es war eiskalt. Er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er fror, aber das Klappern seiner Zähne verriet ihn.
Was für ein verdammtes Chaos. Die ganze Angelegenheit. Was für ein scheißverdammtes Chaos.
Das Verhör von Sophie und dann das von Brotherton. Phil war es nicht gelungen, ihn zu einem Geständnis zu bewegen, und das trotz der Videoaufzeichnung und aller Indizien. Sie hatten wohl oder übel einsehen müssen, dass Brotherton tatsächlich unschuldig war. Und Clayton war von dem Fall abgezogen. Er konnte die Ermittlungen nicht mehr beeinflussen. Seine Zukunft lag in den Händen anderer. Das war das Schlimmste an der ganzen Sache.
Ein weiterer tiefer Zug. Er bemerkte eine Bewegung in der Nähe des Eingangs. Anni war auf den Parkplatz gekommen. Sie trug T-Shirt und Jeans, ihre übliche Arbeitskluft, aber keine Jacke. Im vergeblichen Versuch, sich gegen die Kälte zu schützen, hatte sie die Arme fest um den Körper geschlungen. Sie kam auf ihn zu, baute sich vor ihm
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