Entrissen
Erin O'Connor denken. Wie sie in ihrem kleinen Reihenhaus in New Town saß, quasi auf gepackten Koffern, jederzeit bereit zum Absprung. Erin O'Connor. Sophie Gale. Beide Namen klangen irgendwie künstlich. Es waren ausgedachte, mädchenhafte Namen. Namen, die Männern leicht über die Lippen kamen, vor allem in ganz bestimmten Situationen ...
»Marina? Alles klar bei Ihnen?« Anni sah sie besorgt an.
Marina blinzelte. »Was ist los?«
»Sie waren ein paar Sekunden lang ganz weggetreten.«
Marina schüttelte den Kopf. »Ja ...« Sie versuchte, den Gedanken zu fassen, der sich zu formen begonnen hatte ...
Was hatte Erin O'Connor noch gleich gesagt?
Wenigstens muss ich jetzt nicht mehr dafür bezahlen ...
»Phil und ich haben Graeme Eades' Freundin vernommen. Erin O'Connor.«
»Sein Alibi für die Tatzeit.«
»Wurde sie eigentlich auf eventuelle Vorstrafen hin überprüft?«
Anni setzte sich kerzengerade auf. Ihre Haarspitzen schienen sich vor lauter Aufregung noch mehr aufzurichten. »An was für Vorstrafen haben Sie gedacht?«
»Prostitution.«
»Ich sehe sofort nach.«
»Kann sein, dass ich falschliege«, meinte Marina und dachte an Erins angewidertes Gesicht, als sie Graemes Satz wiederholt hatte. Vielleicht war ihre Empörung bloß gespielt gewesen? Um sich vor der Polizei nicht zu verraten? »Gut möglich, dass ich ihr unrecht tue, aber ich habe so ein Gefühl, dass da vielleicht eine Verbindung sein könnte.«
»Verlassen Sie sich ruhig auf Ihren Instinkt. Der wird uns weiterbringen.« Anni stand auf. »Ich werde es überprüfen.«
Sie ging durchs Büro. Marina sah ihr nach.
Genau wie Clayton.
Anni bat Millhouse, Erin O'Connors Vorstrafenregister aufzurufen. Während sie wartete, ließ sie den Blick durchs Büro schweifen. Clayton stand der Schweiß auf der Stirn. Gleichzeitig zitterte er, als litte er unter Parkinson. Bis jetzt hatte sie niemandem von seiner Verbindung zu Sophie erzählt. Und wenn er ihr keinen Grund dazu lieferte, würde sie es auch nicht tun. Aber das wusste er natürlich nicht. Sie verkniff sich ein Schmunzeln. Sollte er ruhig leiden.
»Moment... ja ...« Millhouse starrte auf seinen Monitor. »Hier ... Ach, nein. Nichts.«
Redegewandt wie eh und je,
dachte Anni. »Okay. Was ist mit Graeme Eades?«
»Dem Ehemann des Opfers?«
»Genau dem.«
»Okay ...« Er drückte einige Tasten und scrollte langsam die Seite hinunter.
Anni versuchte sich in Geduld zu üben.
»Hmm ...«, meinte Millhouse irgendwann. »Hier. Ja, hier ist was. Aha ... Du liebe Zeit...«
Anni beugte sich hinunter, um zu sehen, was er meinte. Und dort stand es: »Graeme Eades. Wegen Aufforderung zur Unzucht festgenommen und verwarnt«, las sie laut vor. »Vor vier Jahren. Wurde irgendjemand zusammen mit ihm geschnappt? Weitere Freier oder Prostituierte?«
»Ich schaue mal...«
Millhouse tippte eifrig. Anni spürte, wie ihre Aufregung stieg, versuchte jedoch, sich nichts anmerken zu lassen. Wie oft hatte sie sich in ähnlichen Situationen zu hoffen gewagt, nur um dann feststellen zu müssen, dass es umsonst gewesen war? Als Millhouse sie daher kurz darauf bat, einen Blick auf den Bildschirm zu werfen, tat sie es ohne große Erwartungen.
»Hier ...«
Ein triumphierendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Dieses eine Mal hatten sich ihre Hoffnungen erfüllt. »Fantastisch, Millhouse. Ich könnte dich küssen!«
»Ahm ...«
Marina grinste, als sie sich vorstellte, wie die Fehlermeldung
Anfrage kann nicht bearbeitet werden
in seinem Hirn aufblinkte. Im Laufschritt eilte sie zu Marina zurück.
Clayton beobachtete sie dabei. Natürlich hatte er keine Ahnung, was sie soeben herausgefunden hatte, aber es konnte nichts Gutes sein. Statt sich wieder zu Marina an den Schreibtisch zu setzen, beugte sie sich bloß zu ihr und redete hastig auf sie ein. Daraufhin sprang Marina auf und ging schnurstracks zu Phils Schreibtisch.
Ach, du Scheiße. So ein verdammter Mist ... Sie hat was rausgefunden.
Irgendwo musste es eine Akte über ihn und Sophie geben, und Anni hatte sie entdeckt. Claytons Atem ging so rasch, dass er das Gefühl hatte, sein Herz würde ein paar Schläge aussetzen. Als hätte er zu viel gekokst.
Er versuchte sich zusammenzureißen. In Ruhe nachzudenken. Vielleicht ging es ja gar nicht um ihn. Vielleicht hatten sie etwas ganz anderes entdeckt, etwas, das mit den Ermittlungen zu tun hatte. Endlich einen Durchbruch erzielt. Das war es. Ja. Wahrscheinlich hatte es nichts mit ihm zu
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