Erste Male
Dieses Jahr ist der Trottel Bill Gates. Soweit ich mich erinnern kann – das heißt, lange bevor ich anfing, hier zu arbeiten –, galt der Trottel immer schon als der menschenverachtendste Job an der Promenade.
Bis zu diesem Jahr.
Diesen Sommer nämlich war der Trottel ein echtes Spektakel. Er rockte das Haus. Echt. Er war schnell wie der Blitz und wich den Schüssen der Schlappschwänze ohne Probleme aus. Für die Mini-Machos war es kaum zu ertragen, dass sie es nicht schafften, ihn in Grund und Boden zu ballern. Sie schrien und tobten und ballten die Fäuste. Das schreckte den Trottel überhaupt nicht. Im Gegenteil, er provozierte sie noch durch obszöne Gesten. Er brachte sie alle total auf hundertachtzig. Zum Totlachen. Der Trottel besserte stets meine Laune.
Außer heute Abend natürlich.
Als ich bei ihm vorbeischaute, stand der Trottel einfach nur da. Er zeigte seinen Angreifern nicht etwa den Stinkefinger oder hechtete durch die Gegend, um ihren Schüssen auszuweichen. Er wurde einfach abgeschossen, jeder Schuss ein grellbunter Treffer. Rot! Gelb! Blau! Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, aber seine ganze Haltung sprach Bände: Sein Widerstandsgeist war gebrochen. Ich schätze, das würde selbst den Besten so gehen, wenn sie für fünf Dollar fünfzig die Stunde den ganzen Tag von verhaltensgestörten Touristen mit Farbkugeln beballert würden.
Eigentlich wollte ich ihn aufmuntern. »Na komm, Trottel! Los geht’s! Mach sie fertig! Du kannst es doch!« Das hätte mir genauso geholfen wie ihm. Aber ich hielt den Mund und schlich davon.
Dann fing ich an zu grübeln. Und wenn das nun der beste Job ist, den der Typ ergattern kann? Ich meine das nicht als Witz. Vielleicht ist er ja ein »Lebenslänglicher« wie der Katzen-Mann? Einer dieser Loser, die in der Sommersaison an der Promenade malochen und den Rest des Jahres Arbeitslosengeld kassieren? Oder vielleicht ist er auch Tausende von Kilometer aus Europa hergeflogen, bloß um so einen Scheißjob als Trottel-Darsteller abzugreifen – oder auch als Verkäufer fettigen Fertigfutters, so wie ich?
Mir wurde klar, dass die Arbeit in Wally D’s Sweet Treat Shoppe wahrscheinlich der schlimmste Job ist, den ich im Leben machen werde. Ich weiß, dass eine strahlende Zukunft vor mir liegt. Aber anstatt mich über mein glückliches Los zu freuen, hatte ich bloß ein schlechtes Gewissen.
Und als ich hinter die Theke meiner Eispudding-Station zurückkehrte, klappte nicht mal meine Lieblingsablenkung: mich über die Kunden lustig zu machen. Dabei war der nächste eine wunderbare Witzfigur. Wenn Scotty einen Bauchgürtel brauchte, dann hatte dieser Typ einen Ganzkörpergürtel nötig. Er sprengte fast die Nähte seines schmuddelweißen Muskelshirts. Als er auf den Tresen haute, um mich herzuordern, wabbelte das Fleisch an seinem Arm, und die darauftätowierte Frau mit Riesenbrüsten tanzte Hula. Unter ihren winzigen Füßen wogte die Zeile SID LOVES MYRNA.
»Wsnds Puddingzeuch?«, grummelte Sid. »Issas Eis odernandrer Scheiß?«
Ich verstand ihn ohne Probleme. Erschreckend.
»Das ist etwas reichhaltiger als Eiscreme«, antwortete ich. »Bei der Herstellung wird Sahne mit höherem Fettgehalt verwendet.«
Normalerweise hätte ich noch ein »Sir« drangehängt. Sid fehlten nämlich mehrere wichtige Zähne. Und eigentlich finde ich es zum Schießen, einen Mann ohne Schneidezähne mit »Sir« anzureden. Aber wie gesagt, ich war einfach zu traurig.
Sid beugte sich vor und legte die Hände auf die Kasse. »Eima Schocklade. Große Pozjon. Mit Rehngbohng-Streusel.« Dann rülpste er mir lang und andauernd Hackfleischtasche ins Gesicht.
Er widerte mich zwar an, aber ich gab ihm kein Kontra. Ich wollte ja nicht, dass er eine plötzliche Blutung bekam und seinen zuckrig-süßen Lebenssaft über meine Eistheke spritzte.
Ich machte ihm also seine Schokowaffel und wurde dabei noch depressiver. Es war auf einmal so furchtbar deprimierend, für einen oberfetten, zahnlosen Typen eine große Waffel mit Schokoeis zu füllen. Ich fing an, über Sids Lebensqualität zu grübeln. Ob Myrna wohl eine richtige Frau war, die irgendwo lebte? Und liebte sie ihn? Oder hatte sie ihn verlassen, weil er so fett war oder in aller Öffentlichkeit rülpste? Und musste er daher Trost in zahllosen Schokowaffeln suchen?
Ich reichte Sid seine Leckerei. Er öffnete seinen geräumigen Mund und nahm einen gewaltigen Bissen. Regenbogen-Streusel krümelten auf die Theke. Er zog drei verschwitzte
Weitere Kostenlose Bücher