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Es wird Dich rufen (German Edition)

Es wird Dich rufen (German Edition)

Titel: Es wird Dich rufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Cross
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wollte sich gerade erheben, um nachzusehen, ob der Großmeister eventuell hinter der Weggabelung verschwunden war, die tiefer in den Wald hineinführte, als er bemerkte, dass die Buchstaben auf dem alten Pergament plötzlich verblassten.
    »Was ist denn jetzt los?«, fragte sich Mike und rieb seine Augen.
    Die Buchstaben wanderten auf dem Pergament hin und her. Er hatte eine ähnliche Situation schon einmal erlebt. Damals, als er von dem Kuppelsaal geträumt hatte.
    Aber zumindest im Moment war er doch hellwach?
    Sein Blick auf die auftauchenden und verschwindenden Buchstaben ließ ihn jedoch daran zweifeln.
    »Ich glaube, ich muss mich mal zwicken«, beschloss Mike. Er spürte einen kleinen Schmerz, der allerdings kaum der Rede wert war. Vielleicht musste er etwas anderes probieren.
    Vor sich sah er einen Stein liegen, der einen Durchmesser von gut zehn Zentimetern aufwies. Mike bückte sich und hob ihn auf.
    »Na, wenn mich das nicht aufweckt«, sagte er, legte das Pergament behutsam auf die Sitzfläche des Teufelsstuhls, nahm den Stein in seine rechte Hand, legte die linke Hand flach auf eine der Armlehnen, schloss die Augen und schlug zu.
    Er schrie laut auf und ließ vor Schreck den Stein fallen.
    Den Schlag hatte er bemerkt, er war vollkommen real – ebenso wie der stechende Schmerz.
    »Okay, es ist also kein Traum«, fluchte Mike leise. Wahrscheinlich hatte ihm sein müdes Gehirn nur einen Streich gespielt. Wenn er sich dem Pergament jetzt wieder zuwenden würde, war bestimmt alles beim Alten.
    Doch Mike irrte sich. Das seltsame Spiel hatte vielmehr an Lebendigkeit gewonnen. Die Buchstaben schienen unter dem Einfall der ersten Sonnenstrahlen jetzt direkt mit ihm kommunizieren zu wollen.
    »Lies mich!«, hörte Mike erneut die Rufe, die er schon damals im Traum vernommen hatte. War es das Rauschen des Windes, das durch die Blätter fegte, oder sprach dieses Papier tatsächlich mit ihm?
    Das Pergament an seine Brust gedrückt, ließ sich Mike erneut auf dem Teufelsstuhl nieder, der sich jetzt eigenartig weich und alles andere als kalt anfühlte. Er spürte eine ungeheure Kraft, die von diesem Ort ausging und unmittelbar auf ihn einwirkte.
    Ein leichter Schwindel überfiel Mike, der jedoch nur von kurzer Dauer war. Sein Herz pochte laut.
    Die Augen verschlossen, streichelte er sanft über das Dokument, das sich nun wie menschliche Haut anfühlte. Wenn er darüber strich, spürte er sogar die einzelnen Buchstaben, die sich ihm offenbaren wollten. Als hätten sie seit Jahren nur auf diesen einen Moment gewartet. Es war, als könne er hinter die Dinge sehen.
    Der eigentliche Text des großen Manuskripts hatte sich gänzlich aufgelöst, als Mike die Augen wieder öffnete. Nur die über hundert Buchstaben, die nicht dorthin gehörten, waren übrig geblieben.
    Neugierig verfolgte Mike, wie sie sich nach einem ganz bestimmten Muster vor ihm neu zusammensetzten. Während die einen neue Wörter bildeten, formten sich die anderen zu einem Symbol, das ihm inzwischen vertraut war.
    Mit einem Schlag wusste Mike, wo er den Eingang zur Gralshöhle zu suchen hatte. Was ihm damals, als er zum ersten Mal mit Jean über die Dokumente und die darin enthaltene verschlüsselte Botschaft gesprochen hatte, noch wie ein undurchdringbarer Nebelschleier vorgekommen war, lüftete sich im Licht der aufgehenden Sonne zu einem klaren Bild, das sich in sein Gedächtnis einprägte.
    Und noch etwas wusste er jetzt: Niemand anderer wäre in der Lage, diese Botschaft zu verstehen, als diejenigen, an die sie gerichtet war. Kein Dechiffrierexperte würde etwas damit anfangen können, wenn dieses Dokument nicht auf diesem Stuhl der Initiation unmittelbar zu ihm sprach.
    »SOLIS SACERDOTIBUS« – nur für Eingeweihte.
    Zum ersten Mal begriff Mike den tieferen Sinn dieser Worte am Ende des kleinen Manuskripts. Es war der Gral, der nur diejenigen zu sich rief, die zu ihm gehörten. Es stimmte also, was man gemeinhin über ihn sagte: nicht suchen könne man ihn, nur ihn finden.
    »Hast du erfahren, was du wissen wolltest?«, fragte der Großmeister. Mike drehte sich erschrocken um.
    »Wo kommst du denn so plötzlich wieder her?«
    »Ich war die ganze Zeit hier«, sagte der Großmeister.
    »Das kann nicht sein«, entgegnete Mike. »Ich habe dich nicht gesehen und auf mein Rufen hast du nicht reagiert.«
    »Du konntest mich nur nicht wahrnehmen, weil du in der Tiefe der Dimensionen warst. Für einen Moment bist Du in die reinste Gegenwart eingetaucht –

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