Evil - Das Böse
das heiße, erst dann konnte sein geschundenes Gehirn den Ereignissen wieder folgen. Der letzte Eimer fühlte sich gleich eiskalt an, zumindest war es später in seiner Erinnerung so. Der Große Bär drehte sich langsam im Dunst. Einige lange Augenblicke lang hörte er nur das Geräusch seines eigenen keuchenden Atems.
Dann stand Silverhielm hinter seinem Kopf und sagte etwas, was Erik nicht verstand, und es kamen einige, er sah sie nicht, und spuckten ihn an. So klang es jedenfalls. Danach war alles still.
Sie waren gegangen. Alle waren gegangen und es war vollständig still. Sein Körper zitterte und bebte. Aber während die Kälte in seinen Körper eindrang, wurde sein Bewusstsein wieder klar. Er sah die Sterne ganz deutlich, hoch oben, und wenn er den Kopf bewegte, klirrte das Eis, das sich in seinen Haaren bildete; seine Kleidung wurde starr. Er schloss die Augen.
Aber das Zittern seines Körpers hielt ihn bei Bewusstsein.
Es war unmöglich, die Zeit abzuschätzen. Vielleicht hatte er eine Stunde dort gelegen, vielleicht auch erst fünf Minuten, als er Schritte hörte.
Es war die Schwester; als sie neben ihm niederkniete, sah er, dass ihre Brille funkelte. Aber sie hielt auch etwas in der Hand, es sah aus wie ein Skalpell. Zuerst sagte sie nichts. Sie legte ihm eine Hand auf die Brust und schob sie dann zur Halsschlagader hoch. Dann bewegte sie die Hand mit dem Skalpell.
Mit raschen Schnitten durchtrennte sie die Riemen, mit denen er an die Pflöcke gebunden war. Erik legte langsam die Hände aneinander und rieb sich halb unbewusst die betäubten Handgelenke. Dann nahm er die Riemen von seinen Knöcheln.
»Und jetzt versuch aufzustehen«, sagte sie und zog ihn an den Armen.
Das Eis, mit dem seine Kleidung an den Boden gefroren war, knirschte, als er sich losriss und auf die Beine kam.
»Komm mit«, sagte sie, legte sich einen seiner schweren Arme um die schmalen Schultern und ließ ihn die ersten schwankenden Schritte in Richtung Kassiopeia machen. Kein Mensch war zu sehen.
Als sie den halben Weg hinter sich gebracht hatten, stöhnte er, er könne allein gehen, und befreite sich fast mit Gewalt von ihrem stützenden Arm. Als sie die Tür erreicht hatten - er zitterte dermaßen, dass er kaum ein Wort herausbringen konnte -, fragte er, was nun richtig wäre: zu duschen, bis ihm warm wurde, und sich dann ins Bett zu legen?
Offenbar hatte sie mit Ja geantwortet und ihn dann verlassen. Denn als Nächstes taumelte er über den Gang zu seinem Zimmer. Zwei Klassenkameraden begegneten ihm, die wie erstarrt stehen blieben, aber nichts sagten.
Im Zimmer brannte kein Licht und er musste eine Weile nach dem Lichtschalter tasten. Als er das Licht einschaltete, sah er, dass Pierre im Bett lag und die Decke bis zum Kinn hochgezogen hatte, obwohl er hellwach war.
»Sie haben mich gefesselt«, sagte Pierre. »Deshalb konnte ich dich nicht losbinden.«
Erik stolperte zu Pierres Bett und zog mit unbeholfenem Griff die Decke weg.
Pierre war eingewickelt wie ein Puter.
Eriks Hände waren so steif, dass er die Knoten nicht lösen konnte, und er sah auch nicht klar. Vor seinen Augen schien ein Nebel zu hängen.
»Du musst noch eine Weile gefesselt bleiben«, nuschelte er, ging in den Duschraum, stellte sich unter die Dusche, ohne die Kleider auszuziehen, und drehte das Wasser an.
Das lauwarme Wasser ließ seinen Körper brennen und schmerzen. Er stand lange an die Fliesenwand gelehnt und massierte seine Handgelenke. Dann steigerte er die Wärme und befreite sich nach und nach von der Kleidung. Er wusste nicht, wie lange er unter der Dusche gewesen war, als er zu Pierre zurückging, einen Bademantel anzog und begann, Pierres Fesseln durchzuschneiden.
Ein paar Stellen an seinem Körper brannten, aber sein Kopf war wieder klar.
»Sie haben gesagt, dass niemand kommen und mich losbinden darf«, erklärte Pierre. »Wer es doch tat, sollte fünf Samstagsonntage kriegen.«
»Weil du mich sonst befreit hättest?«
»Ja, natürlich.«
»Die spinnen, das war doch niemandem fünf Samstagsonntage wert. Und wenn irgendwer mich losgemacht hätte, hätte der dieselbe Strafe gekriegt?«
»Ja, sie haben alle verjagt und sich dann über mich hergemacht.«
»Und wie lange wollten die mich da liegen lassen? Haben die nicht kapiert, was sie getan haben?«
Darauf gab es keine Antwort. Erik zog zwei Schlafanzüge übereinander an, legte sich ins Bett und die Wärme wogte über seinen Körper. Seine Handgelenke und Fußknöchel und
Weitere Kostenlose Bücher