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Ewig Dein

Ewig Dein

Titel: Ewig Dein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Glattauer
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Tochter, das Gefühl zu geben, dass sie daran schuld war. Zur Strafe musste ihr Judith von Beipackzetteln Dosierungen und Nebenwirkungen verschriebener Arzneimittel gegen Blindheit, Herzinfarkt, Todesgram und Ähnliches vorlesen. Immerhin: Hannes wurde mit keinem Wort erwähnt. Judith schaute in Minutenabständen auf die Uhr. »Willst du schon wieder gehen?«, fragte Mama. »Ja, ich treffe Lukas«, erwiderte Judith. »Lukas?« Endlich ein offener Vorwurf mit Eigenname. »Warum Lukas?« – »Warum? Weil er ein Freund ist, und weil man Freunde bekanntlich hin und wieder trifft«, antwortete Judith giftig. – »Lukas hat Familie!« – »Nein, Mama, das diskutiere ich jetzt nicht mit dir«, erwiderte Judith, sprang auf und schlug die Tür hinter sich zu. Ein paar Minuten stand sie draußen, im Bewusstsein ihres erbärmlichen Zustands, dann klingelte sie noch einmal an der Tür. Mama öffnete zögerlich, ihre Augen waren verschwollen. Judith fiel ihr in die Arme und entschuldigte sich. »Ich hab keine gute Phase«, sagte sie. »Ja, ich weiß«, erwiderte Mama. Es entstand eine kurze bedrückende Pause. Judith: »Wieso weißt du das?« – »Man sieht’s dir an, Kind«, erwiderte Mama.
     
6.
    Sie trafen sich im »Iris«. Lukas saß schon dort und beendete gerade ein Telefongespräch. Vor ihm wurde ein Glas Aperol von einer Tischkerze beleuchtet und verlieh seinem kantigen Gesicht einen rötlich-orangen Schimmer. Bei der Begrüßung legte er seine Handinnenflächen an ihre Wangen, das war Schutz und Zärtlichkeit zugleich. Wieso hatte sie nicht so einen Mann als Mann?
    »Judy, du musst dir keine Sorgen machen, er liegt wirklich im Josephsspital«, sagte er. Ein Herr Hannes Bergtaler sei am vergangenen Montag aufgenommen worden, hieß es. Auf welcher Station er sich befand, über den Grund des stationären Aufenthalts, die Diagnose und den Gesundheitszustand durfte man keine Auskünfte erteilen. Das hatte der Patient selbst so veranlasst.
    »Lukas, habe ich einen Verfolgungswahn?«, fragte Judith. »Hast du nicht.« Sie: »Warum glaube ich, dass er wegen mir da drinnen liegt und wegen mir dafür sorgt, dass man nicht erfahren darf, wieso?« Lukas: »Weil es vielleicht stimmt.« Sie: »Ja, eben, vielleicht.« Lukas: »Vielleicht genügt.« Sie: »Aber vielleicht ist er wirklich schwerkrank und braucht Beistand.« Lukas: »Vielleicht will er, dass du genau das denkst, und zwar möglichst ununterbrochen.« Sie: »Vielleicht.« Lukas: »Er zwingt dich jedenfalls dazu, dich mit ihm zu beschäftigen.« – »Und ich zwinge dich dazu, dich mit mir zu beschäftigen.« Er: »Nein, Judy, du zwingst mich nicht dazu, ich mache es freiwillig, und ich mache es gerne. Das ist der Unterschied.«
     
    Der Unterschied währte bis zur Sperrstunde im »Iris«. Judith hatte mehr getrunken, als sie vertrug. Lukas tat so, als wäre er über Aperol und Wein hinweg nüchtern geblieben. Ein paar Mal entglitt ihm sein Arm und legte sich um ihre Schulter, zog sich aber sofort wieder zurück. Jedenfalls lenkte er sie auf unaufdringlich anziehende oder zumindest anziehend unaufdringliche Weise von Hannes ab. Gelegentlich seufzten oder schmunzelten sie ob ihrer abhandengekommenen intimen Vergangenheit. Was eigentlich Antonia dazu sagte, wenn er zum beschützerinstinktiven Seelentrost die Land- und Familienflucht antrat und sich mit seiner paranoiden Exfreundin in schummrigen Wiener Bars die Nacht ums Ohr schlug? – Das sei okay für sie, beteuerte er: »Sie weiß, wie nahe wir uns stehen, Judy. Und sie weiß, dass ich dein Vertrauen nie missbrauchen würde.« – »Und ihres?«, fragte Judith. – »Ihres sowieso nicht«, erwiderte Lukas. Dieser Satz von diesen Lippen klang erotischer als jedes Liebesgeflüster.
    Gemeinsam wankten sie zu ihrem Wohnhaus. Berührungen gab es nur bei Zusammenstößen und beim abschließenden Versuch, sich per Wangenkuss zu verabschieden. »Willst du mitkommen? Du kannst auf der Wohnzimmercouch schlafen«, lallte Judith. Nein danke, Lukas stand die nahe gelegene Wohnung eines verreisten Kollegen zur Verfügung, und er benötigte ohnehin noch ein paar Häuserblocks frische Luft. Er wollte nur warten, bis oben bei Judith Licht brannte, sodass er sich sicher sein konnte, dass sie in ihre Wohnung gefunden hatte.
    Judith ließ den Aufzug links liegen und torkelte das spiralenförmige Stiegenhaus hinauf. Bei jedem Stock hielt sie inne, um zu prüfen, ob ihr keine Stöhn- oder sonstigen Geräusche entgegenkamen. Als sie das

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