Ex
»Das versuche ich ja gerade zu erklären…«, meinte sie. »Ich bin Joanna Cross… eine Journalistin…«
»Sind Sie deshalb hierhergekommen?« fragte er in merkwürdig sanftmütigem Ton. Trotz seiner scheinbaren Freundlichkeit nahm er sie nicht ernst, er tat nur das, was ihm einer in Schwierigkeiten geratenen Frau gegenüber angebracht erschien. Aber es ging ihm nicht darum, in ihren Worten nach Wahrheit zu suchen.
»Ich bin hierhergekommen«, fuhr sie mit zitternder Stimme fort, »weil ich hier arbeite… und weil ich Geld brauche…«
»Die Zeitschrift schuldet Ihnen Geld?«
»Nein… aber ich stand plötzlich ohne einen Penny auf der Straße… ich brauche…«
Der Mann griff in seine Hosentasche und zog ein Portemonnaie heraus.
Doch da mischte sich Taylor Freestone ein. »Geben Sie ihr nichts. Wir haben mit ihr nichts zu schaffen, also ermutigen Sie die Frau nicht noch.«
»Wenn ich ihr ein paar Dollar gebe, tut das wohl niemandem weh«, entgegnete der andere Mann.
Und er streckte ihr ein paar Geldscheine hin. Sie wußte nicht, wieviel es war, weil sie nur flüchtig hinsah. Einen Moment lang fürchtete sie, in Ohnmacht zu fallen. Das alles war mehr, als sie verkraften konnte. Und bewußtlos zu werden mit der Aussicht, vielleicht in einer Welt wieder aufzuwachen, in der alles in Ordnung war, schien eine verlockende Möglichkeit.
Doch eine leise Stimme in ihrem Kopf riet ihr durchzuhalten. Sie durfte sich nicht fallenlassen, zumindest noch nicht jetzt. Denn es war kein Traum, und es war nicht unmöglich, es geschah tatsächlich. Und es half nichts, wegzurennen oder sich zu verstecken. Nein, sie mußte der Situation die Stirn bieten.
»Nehmen Sie es«, ermunterte sie der Mann und hielt ihr immer noch das Geldbündel vor die Nase. »Es tut mir leid, daß wir Ihnen nicht weiterhelfen können, aber wenn Sie Geld brauchen…«
»Nein!« widersprach Taylor Freestone scharf.
»Es ist mein Geld, verdammt noch mal!« fauchte der Mann zurück. »Bitte nehmen Sie es«, wandte er sich dann in sanfterem Ton wieder an Joanna. »Nehmen Sie es einfach und gehen Sie, ja?«
Sehr langsam kam ihr zu Bewußtsein, daß sie nichts tun konnte. Und egal, was auch geschehen mochte, was sie als nächstes tun oder wohin sie auch gehen mochte, sie würde Geld brauchen. Also streckte sie die Hand aus und nahm es.
»Danke«, flüsterte sie mit kaum hörbarer Stimme. Und sie spürte, daß sie, indem sie das Geschenk dieses Fremden annahm, die Situation entschärfte.
»Schafft sie endlich fort«, verlangte Taylor Freestone von den Sicherheitsleuten. »Und sorgt dafür, daß sie nicht mehr hier reinkommt.«
Diesmal versuchte sie gar nicht erst, die fremden Hände abzuschütteln. Sie ließ sich durch die vertrauten Korridore führen, durch den Empfangsraum, wo ihr Bobbies und Janes stumme Blicke folgten, und hinaus durch die Glastüren. Dann stand sie im Fahrstuhl und schließlich wieder draußen auf der Straße.
Dort erst ließen die Sicherheitsleute sie los und sahen ihr nach, bis sie endgültig aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
KAPITEL 48 Erst als sie einen Zeitungsverkäufer fragte, ob er ihr wechseln könne, stellte sie fest, daß der Mann in ihrem Büro ihr fünfzig Dollar gegeben hatte – eine überraschend großzügige Geste. Und sie bedauerte jetzt, daß sie sich nicht entsprechend dafür bedankt hatte. Lieber wäre es ihr allerdings gewesen, wenn sie sich gar nicht erst für irgend etwas hätte bedanken müssen.
Als sie schließlich eine Telefonzelle fand, wählte sie noch einmal Wards Nummer. Wieder ging niemand dran. Dann rief sie im Labor an. Peggy meldete sich.
»Peggy, ich bin’s, Joanna.«
»Joanna?«
»Ich wollte nachfragen, ob Sie in der letzten halben Stunde oder so etwas von Sam gehört haben.«
»Sam ist im Moment nicht im Haus. Und ich weiß auch nicht genau, wo er ist. Soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Nein, ich… sagen Sie ihm, ich melde mich wieder.«
»Gut, Joanna. Ich lege ihm eine Nachricht hin.«
Die Art und Weise, wie sie »Joanna« sagte, klang merkwürdig, nicht so, wie man mit einer Freundin oder zumindest mit einer Bekannten redete. Daß sie die Anruferin mit dem Vornamen ansprach, war reine Höflichkeit, nicht Ausdruck einer persönlichen Verbundenheit. »Joanna« war für sie nur irgendeine Frau am Telefon, die sich auch mit jedem anderen Namen hätte melden können.
Joanna schluckte und zwang sich, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. »Sie wissen nicht, wer ich bin,
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