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Ex

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Titel: Ex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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einer Zielsicherheit, als würde er magisch angezogen, auf einen anderen Stein fiel. Wie sie ihn vorhin hatte übersehen können, war ihr ein Rätsel. Jetzt schien es ihr, als würde er ihr gesamtes Blickfeld einnehmen.
    Eine gemeißelte, abgeschrägte Steinplatte bedeckte das Grab in voller Länge. Der Stein selbst war dunkler als die anderen, schiefergrau, feiner gekörnt und witterungsbeständiger als die anderen. Dies war kein gewöhnliches Grab, es war ein Denkmal für denjenigen, der darin ruhte.
    Die schlichte, gut leserliche Inschrift lautete:
     
    ADAM WYATT
    1761 – 1840
    »Joie de Vivre«
     
    Plötzlich gaben Joannas Beine nach, und sie fiel auf die Knie. Sie streckte die Hand aus, weil sie ihren Augen nicht trauen wollte, und ließ ihre Finger über die eingemeißelten Buchstaben gleiten.
    Und dabei geschah etwas Seltsames mit ihr. Ihr war, als würde sich in ihrem Inneren ein Loch auftun, in das sie hineinfiel. Sie verlor jeden Sinn für die Realität, wußte nicht mehr, wer sie war, warum sie hier war, nicht einmal, was gerade geschehen war. Es war ein unvermittelt eintretender, absoluter, lähmender Gedächtnisschwund.
    Nein, das war natürlich nur der Schock, der Schock… Dieses Wort hallte in ihr wider, und sie klammerte sich daran fest wie an ein Rettungsseil, an dem sie sich aus jenem Abgrund, in den sie gestürzt war, emporziehen konnte.
    Erst in diesem Moment wurde ihr bewußt, daß Ralph neben ihr kniete und ihr besorgt ins Gesicht schaute. Sie hatte ihn nicht kommen hören, und nun merkte sie, daß er sie etwas fragte, aber seine Worte ergaben keinen Sinn. Langsam richtete sie ihren Blick zu ihm auf. Es kostete sie große Mühe zu sprechen.
    »Tut mir leid…«
    Die Worte kamen ihr unversehens über die Lippen, als wollte sie sich für etwas entschuldigen, ohne zu wissen wofür. Als sie sich mühsam aufzurappeln versuchte, half er ihr auf die Beine. Sie wischte sich automatisch die Hose ab und strich sich die Haare aus dem Gesicht.
    »Irgend etwas stimmt doch nicht«, stellte er fest. »Sagen Sie es mir.«
    Doch sie schüttelte den Kopf, weniger, weil sie ihm nicht antworten wollte, sondern, weil sie nicht mit Fragen bestürmt werden wollte. Im Augenblick war sie zu verwirrt, sie konnte nicht nachdenken.
    »Entschuldigen Sie«, meinte sie. »Ich muß weg, ich muß jetzt gehen. Es tut mir leid.«
    »Hören Sie, wenn ich etwas für Sie tun kann…«
    Doch Joanna verließ bereits mit schnellen Schritten den Kirchhof. Er sah ihr nach, wie sie aufs Pferd stieg, die Zügel herumriß und davongaloppierte. Sie warf keinen Blick mehr zurück.
    Fast als hätte sie Angst davor, ging es Ralph durch den Kopf.
     
     
     
     
    KAPITEL 37 Da sie ihr Handy nicht bei sich hatte, hielt Joanna auf dem Rückweg vom Stall an einer Telefonzelle an. Sam war nicht zu Hause, deshalb sprach sie ihm auf den Anrufbeantworter, daß sie ihn unbedingt sehen müsse. Sie nannte ihm den Zug, mit dem sie zurückfahren wollte, und bat ihn. sie nach Möglichkeit am Bahnhof abzuholen.
    Zum Glück hatte sie ihren Eltern erzählt, daß sie am Sonntag abend in Manhattan sein müsse. So war es kein großes Problem, ihnen zu sagen, daß sie schon etwas früher aufbrechen mußte. Sie erfand einfach eine Geschichte, daß sie noch vor der Redaktionskonferenz am Montag vormittag eine Arbeit fertigzumachen habe.
    Auch während des Mittagessens gelang es ihr, das Schauspiel weiterzuspielen, obwohl sie allein mit ihren Eltern aß. Um keine Fragen beantworten zu müssen, redete sie wie ein Wasserfall, nur über ihren Vormittag verlor sie kaum ein Wort und sagte nur, daß sie ihren Ausritt genossen und wieder einen klaren Kopf bekommen habe. Ihre Begegnung mit Ralph Cazaubon verschwieg sie. Sie hoffte nur, ihre Eltern würden nicht durch irgendeinen blöden Zufall mit ihm zusammentreffen und dann von ihm erfahren, was vorgefallen war. Allerdings spürte sie, daß ihre Mutter – nicht anders als bei ihrer Ankunft am Freitag abend – ahnte, daß etwas nicht stimmte. Doch sie hatte sich wohl entschlossen, nicht neugierig zu sein. Ihre Umarmung beim Abschied war jedoch ganz besonders herzlich und auch ein bißchen besorgt.
    »Paß gut auf dich auf, Liebling. Und komm bald wieder, ja?«
    »Natürlich. Es war herrlich hier. Und ich bin froh, daß es euch in Europa so gut gefallen hat.«
    Joanna nahm ihre Tasche und wandte sich zum Gehen. Ihr Vater saß bereits im Wagen, um sie zum Bahnhof zu fahren. Doch obwohl die Haustür offenstand, konnte sie

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