Extra scha(r)f
Danach stand sie auf, um Dads Schuhe zu suchen.
Diesen Rat habe ich nur dieses eine Mal von ihr gehört, aber er spiegelte ihre Lebensphilosophie wider. Meine Mutter war immer eine Verfechterin von Freiheit und Spaß im Leben gewesen. Ich verstehe ihren plötzlichen Sinneswandel nicht. Woher rührt er bloß? Oder hat er sich schon seit längerem angekündigt, und ich habe es vor lauter Stress nur nicht bemerkt? Im Moment weiß ich jedenfalls nur, dass ich will, dass Mum wieder wie früher ist, als ihr alles wurscht war, was sich außerhalb des eckigen Ungetüms in der Wohnzimmerecke abspielt.
Das runde Ungetüm in der anderen Wohnzimmerecke macht ein sehr zufriedenes Gesicht. Ihm gefällt die neue Seite seiner Frau. Früher (also noch vor einer Woche), wenn er von der Tarantel gestochen wurde, war er es gewohnt, dass Mum ihn entweder ignorierte oder ihm über den Mund fuhr. Aber jetzt stößt sie in dasselbe Horn, und sie scheint nicht willens, sich umstimmen zu lassen. »Charlie, ich verstehe nicht, warum du dich so aufregst. Dino ist doch eine gute Partie.«
»Aber ich stehe nicht auf ihn«, kontere ich und blicke dabei Emily an. Emily macht ein ängstliches Gesicht. Dazu hat sie auch allen Grund, wo sie sich doch mit meinem Auserwählten heimlich ins Schlafzimmer verzogen hat. Ich weiß zwar nicht genau, was dort drinnen vor sich ging, aber irgendwas muss gelaufen sein. Jetzt duckt Emily sich hinter Dad auf dem Sofa, und das Einzige, was mich davon abhält, den Scheinwerfer auf sie zu richten, ist, dass ich noch weiß, wie das mit fünfzehn ist. In Emilys Alter war ich ebenfalls gezwungen, permanent zu lügen, um mich mit Freunden meiner Wahl treffen zu können - du liebe Güte, das mache ich heute noch so.
»Was hat das denn damit zu tun, ob du auf ihn stehst?«, erwidert meine Mutter. »Werd endlich erwachsen, Charlie. Du hast Dino doch selbst gesehen: ein attraktiver, erfolgreicher Mann. Es könnte weitaus schlimmer sein, glaub mir«, sagt sie mit Blick auf meinen Vater und schenkt mir dann ein Lächeln.
Mum hat Recht. Dino ist tatsächlich attraktiv und erfolgreich, aber so leicht lasse ich mich nicht beeindrucken. »Mum, von mir aus kann Dino wie Jude Law im Arztkittel aussehen, aber nach dem Fiasko gestern Abend kann ich ihm ohnehin nie wieder unter die Augen treten.«
»Was du meinst?«, fährt mein Vater mit vollem Mund dazwisehen. (Kaum zu glauben, aber er isst Müsli, sein Tribut an eine neue, herzschonendere Lebensweise.) »Ich fast bin gestorben gestern Abend.«
»Oh, hör endlich auf damit, ich bitte dich ... Hört zu, schminkt euch ein für alle Mal ab, dass das mit mir und Dino etwas werden könnte.«
Mum schenkt nun Dad ein Lächeln. »Liebe muss erst wachsen, weißt du. Nimm deinen Vater und mich als Beispiel.«
Ich sehe die beiden an: das Traumpaar aus Wood Green.
Dad scheint innerlich mit sich zu ringen. Bestimmt würde er am liebsten lautstark protestieren: »Was du redest, M aevou? Du immer hast gesagt, du hast gewusst von unsere erste Begegnung an ich bin die Mann von deine Leben«, aber er will ihr nicht in den Rücken fallen, nachdem sie sich endlich auf seine Seite geschlagen hat. Es gibt noch einen Grund, weshalb er den Mund hält. Er verfolgt nämlich mit einem Auge eine Episode seiner Lieblingssoap auf CYBC, deren Handlung gerade dem Höhepunkt zusteuert. Die Schwester befürchtet nämlich, dass sie von ihrem Bruder schwanger ist und dass sie eine schreckliche Missgeburt zur Welt bringen wird. Tja, sollte das Kind auch nur annähernd so aussehen wie seine Mutter ...
»Charlie, die Georgious sind wirklich alle sehr nett«, lässt Mum nicht locker. »Und sie haben es zu etwas gebracht. Du hast das Haus ja selbst gesehen. Ich hatte heute übrigens ein längeres Gespräch mit Maroulla.«
»Und worüber?«, frage ich.
»Nun ja, auch wenn es gestern Abend etwas turbulent zuging nach der Aufregung um deinen Vater, ist Maroulla dennoch überzeugt, dass Dino ein Auge auf dich geworfen hat.«
»Mum, seine Freundin hat sich erst gestern von ihm getrennt, und er hat seinen ganzen Frust an mir ausgelassen! Nennst du das etwa ein Auge auf jemanden werfen?«, brülle ich und blicke verstohlen zu Emily. Sie macht den Eindruck, als würde sie sich sehnlichst wünschen, in ihrer Schuluniform mit dem Sofa zu verschmelzen.
»Übertreib doch nicht immer gleich so, Charlie. Ich habe mit Maroulla vereinbart, dass ich und dein Vater eine ernste Unterhaltung mit dir führen, während sie mit Dino
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