Fahrt zur Hölle
Über andere Dinge möchte ich keine Spekulationen anstellen«, wich Beckers aus.
Nathusius und Große Jäger fielen Lüder spontan ein. Der Husumer hatte den Leitenden Kriminaldirektor informiert und sicher so lange gedrängt, bis der kluge Nathusius sich beim Innenministerium für Lüder und die Geiseln eingesetzt hatte. Nachdem der alte Ministerpräsident, zu dem Lüder einen besonders guten und persönlichen Kontakt gepflegt hatte, aus dem Amt geschieden war, hatte sein ehemaliger Vorgesetzter, der zum stellvertretenden Leiter des Landeskriminalamts aufgestiegen war, die Kontakte zum Innenministerium genutzt. Da war es von Vorteil, dass der jetzige Innenminister ein ehemaliger Polizeibeamter war, der irgendwann die politische Laufbahn eingeschlagen hatte und nun dem Innenressort vorstand. Und der Verteidigungsminister … Viele hatten erkannt, dass er ein gradliniger Mann war, der sich auch nicht scheute anzuecken, wenn es der Sache dienlich war. Ob er die Geiselbefreiung in eigener Verantwortung entschieden hat?, überlegte Lüder. Und wie stand Rukcza dazu?
»Wie werden Sie weiter vorgehen?«, wechselte Lüder das Thema.
»Die Besatzung der ›Holstenexpress‹ wird medizinisch versorgt und aufgepäppelt. Wenn sie sich fit fühlt – die Entscheidung darüber liegt einzig beim Kapitän –, kann sie ihr Schiff übernehmen und die Fahrt fortsetzen, vorausgesetzt, die Piraten haben es in einem seetüchtigen Zustand hinterlassen. Zuvor werden wir das Schiff kontrollieren und von gegebenenfalls noch anwesenden Kidnappern befreien.«
»Lauten so Ihre Anweisungen?«
»Ja.« Die Antwort war knapp und präzise.
»Es gibt einen Tatverdacht, dass die ›Holstenexpress‹ in Indien Ladung an Bord genommen hat, die möglicherweise mit ein Grund für die Kaperung sein könnte.«
»Davon ist mir nichts bekannt«, erwiderte Fregattenkapitän Beckers. »Wir sind Soldaten, keine Polizisten.«
»Ich bin Polizeibeamter. Deshalb möchte ich noch einige Besatzungsmitglieder verhören, bevor Sie die Männer auf die ›Holstenexpress‹ entlassen. Das Schiff fährt unter der Flagge Antiguas und Barbudas. Dort habe ich keine Zugriffsrechte mehr.«
»Ich bin Ihnen jederzeit behilflich«, zeigte sich der Kommandant zugänglich. »Haben Sie aber bitte Verständnis dafür, dass wir das vom Urteil unseres Schiffsarztes abhängig machen müssen.«
»Selbstverständlich«, versicherte Lüder ihm. »Ich möchte nur verhindern, dass die Männer die ›Sachsen‹ verlassen, ohne dass ich mit ihnen gesprochen habe.«
»Ich werde dafür sorgen, dass Ihnen eine Kabine zur Verfügung gestellt wird, in der Sie ungestört Ihre Gespräche führen können. Finden Sie sich auf dem Schiff allein zurecht?«
»Ich werde es versuchen«, sagte Lüder mit einem Lächeln und dankte Beckers.
Auf dem Gang traf er Hein Piepstengel.
»Mensch, Achim, wenn ich die Story in meiner Stammkneipe erzähle … Das glaubt mir kein Schwein. Echt.« Er klopfte sich gegen den sauberen Trainingsanzug, den er inzwischen angelegt hatte. »Die sind ja super, unsere Jungs von der Marine. Heute ist Sonntag, nä?«
Als Lüder es bestätigte, grinste Piepstengel. »Ich hab immer geglaubt, die Bundeswehr arbeitet nicht am Sonntag. Tjä. Nun weiß ich das besser. So.« Er klopfte Lüder jovial auf die Schulter. »Nun muss ich die Kombüse suchen. Mal sehen, ob ich beim Smutje ’nen kühles Bier abstauben kann. Wenn ich ganz viel Glück hab, kommt er auch ausm Norden und kann Labskaus machen.« Piepstengel verdrehte die Augen und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ein Königreich für Labskaus.«
Er wollte sich an Lüder vorbeidrängeln, doch der hielt ihn am Ärmel fest.
»Ich hab noch zwei Fragen an dich, Hein.«
»So? Was denn?«
»Wusstest du, dass ihr außerplanmäßig Dschidda anlaufen wolltet?«
»Zu den Saudis?« Piepstengel wirkte überrascht. »Sag mal, warum interessiert dich das als Reporter?«
»Ich bin kein Reporter.« Lüder hüstelte.
»So? Was denn?«, wiederholte der Maschinist die vorherige Redewendung.
»Ich bin Polizeibeamter.«
»Bull… äh, Polizist? Vom Grenzschutz?«
»Die heißen schon lange Bundespolizei. Nein! Ich komme vom Landeskriminalamt Schleswig-Holstein.«
»Wir schwimmen hier im Indischen Ozean, nicht auf dem Großen Plöner See.«
»Irrtum«, klärte ihn Lüder auf. »Die Fregatte ist deutsches Hoheitsgebiet.«
Piepstengel grinste breit. »Das Schiff heißt ›Sachsen‹ und nicht ›Schleswig-Holstein‹.«
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