Falkenjagd
heftig blies, die Seiten so
durchnässte, dass sie sich wellten und über Nacht gebügelt werden
mussten. Allein die Tatsache, dass der arme Mensch an seinem Schicksal
nicht einfach verzweifelte, erregte sie. Er hätte sich auch einfach in
die Sonne legen und sich das Gehirn ausdörren lassen können.
Stattdessen rang er hartnäckig jeden Tag ums Überleben, domestizierte
wilde Ziegen und züchtete Bohnen. All die Mühsal und Plage und die
vielen Jahre ohne Hoffnung in einer ganz und gar unwirtlichen,
gottlosen Umgebung stellten Robinson Crusoe auf eine unendlich harte
Probe. Aber er nahm sie an.
Habe ich so schnell aufgegeben?, fragte sich Friederike. Bin
ich zu mutlos? Was war der hiesige Hof schließlich anderes als ein
wüstes, unzivilisiertes Eiland?
Doch im Gegensatz zu ihr genoss Robinson auf seiner Insel eine
Freiheit und Würde, die ihm keiner streitig machen konnte. Er war sein
eigener Herr und schuf sich, so sinnierte die Markgräfin, ein eigenes
System von Ordnung und Pflichten, um in der Wildnis nicht unterzugehen.
Systematisch zivilisierte sich Defoes Held, überwand seine Schwächen
und früheren Flatterhaftigkeiten und unterwarf sich dem Gesetz der
Vernunft. Und das nicht, weil sein Fürst ihn dazu zwang, sondern
freiwillig. Aus einer inneren Einsicht heraus, die ihm anscheinend von
Geburt an mitgegeben war.
Wie sollte ihr das bloß gelingen?
Vorerst streckte sie sich, nachdem sie ihren
Sohn verabschiedet hatte, wieder auf ihrem Ruhebett aus und schloss die
Augen. Ja, es stimmte, sie hatte in den vergangenen Jahren allen Elan
und Mut verloren. Ich habe Schiffbruch erlitten und sitze hier fest.
Zwischen mir und meinen großen Plänen liegt ein Ozean. Jetzt musste sie
über ihr Unglück sogar ein bisschen lachen. Dann kehrten ihre Gedanken
wieder zu Herrn Crusoe zurück. Was hatte er anders gemacht? Wie eine
Strickleiter nahm sie diesen Gedanken in die Hand und kletterte daran
ein paar Tritte hoch.
Wenn Defoes Held Herrscher über all seine Handlungen war, dann
war er es wohl auch über die Ziele seines Glücks. Friederike wurde
schwindelig. Konnte auch sie ihr Glück selbst bestimmen? Ließ sich ihre
Lage vielleicht doch verändern?
Für einen Augenblick überkam sie ein Gefühl ungeheuren Glücks,
aber dann wurde ihr so hoch oben auf der Strickleiter ihrer Gedanken
immer schwindeliger. Die Kraft, die Stufen noch weiter hinaufzusteigen,
verließ sie. Sie trat ins Leere, und das Seil ihrer Vorstellungen und
Phantasien sauste durch ihre Finger. Enttäuscht und erschöpft
schleuderte sie den Strick mit den schmalen Holzstegen weit weg in den
gefährlich offenen Himmel ihrer Ideen.
Friederike nippte an einem Glas Wasser,
vermischt mit Laudanum, das auf dem Tischchen neben ihr stand. In
wenigen Tagen wurde sie einundzwanzig. Sie war jetzt schon mehr als
sechs Jahre in Ansbach verheiratet und nahm fast täglich die
Opiumlösung des Hofapothekers zu sich. Längst schon wusste sie nicht
mehr, ob sie davon so träge wurde oder ob es vom Stumpfsinn der
hiesigen Gesellschaft kam. Manchmal wünschte sie, sie fände den Mut,
das Gesöff ihrer Oberhofmeisterin in den Ausschnitt zu kippen.
Stattdessen blieb sie liegen und döste weiter. Ihre Hofdamen saßen mit
Filetstickereien in den Händen im Hintergrund des Zimmers und
unterhielten sich leise.
Zur Beruhigung ihrer aufgewühlten Gedanken versuchte sie, sich
auf die Ökonomie des Herrn Crusoe zu konzentrieren. Ihr eigenes
sparsames Wirtschaften war vom Vater früher immer sehr gelobt worden.
»Die schmalste Taille einer deutschen Prinzessin hat mein
Ickerle von ihrer Mutter geerbt, ihren Sinn für die Realitäten aber von
mir«, sagte der König ein paar Mal bei der großen Tafel in Anwesenheit
aller Botschafter, so dass Friederikes Gesicht unter den neidischen
Blicken ihrer älteren Schwester Wilhelmine rot erglühte.
Manchmal legte ihr der Vater Stiche und Beschreibungen von
technischen Neuerungen vor, wie zum Beispiel die Gespann-Drillmaschine
zum Säen, die ein gewisser Mr. Jethro Tüll in Oxfordshire erfunden
hatte. Gemeinsam überlegten sie, ob so etwas in den sandigen Böden
Brandenburgs funktionieren würde, was ihn aber nicht daran hinderte,
sie einen Tag später mit dem Stock auf den Rücken zu schlagen. Der
König war dafür bekannt, erbarmungslos auf seine Kinder einzuprügeln,
und noch kurz bevor sie nach Ansbach verlobt wurde, schleuderte er
einen Stuhl so heftig nach ihr, dass sie, wenn das Wetter umschlug, den
Schmerz bis heute im linken
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