Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
die kosmische Flut ihren Höchststand erreicht. Und du gibst auf diesen Kristall acht, als hinge dein Leben davon ab. Was übrigens wirklich der Fall ist, worauf ich dich noch mal ausdrücklich hinweisen möchte. Ach ja, wo ist er eigentlich?«
»Ich hab ihn über Bord geworfen«, erklärte sie mit völlig ernster Miene.
Cayal starrte sie entsetzt an. »Das ist kein bisschen witzig, weißt du.«
»Und auch kein bisschen wahrscheinlich«, gab Arkady zurück, ein wenig belustigt, dass sie ihn aus der Fassung hatte bringen können, wenn auch nur kurz. »Meinst du nicht, ihr hättet es längst gespürt, wenn wir uns vom Kristall entfernt hätten?«
»Wo ist er?«
»Unterm Kopfkissen in meiner Koje.«
»Solltest du ihn nicht lieber im Auge behalten, Arkady? Elyssa wird dich töten – ganz langsam und qualvoll –, wenn du ihn verlierst.«
»Und wer bitte soll ihn hier stehlen, Cayal?«, fragte sie. »Wir sind auf einem Boot. An Bord ist niemand außer euren magisch unterworfenen, sterbenslangweilig hörigen Crasii, abgesehen von einem Trio Gezeitenfürsten, die sich ein Bein ausreißen würden, um ihn zu schützen. Vor wem genau soll ich euren kostbaren Kristall des Chaos also bewachen?«
Cayal hasste Arkady, wenn sie in dieser Stimmung war – ganz eiskalte Logik und bissiger Mutterwitz. Er zog die andere Arkady vor. Die Frau, die leidenschaftlich und herausfordernd war. Die Frau, die mit ihm Liebe machte, als wäre es eine Entdeckungsreise. Die Frau, die mit ihm schlafen wollte. Diese Arkady hier machte viel weniger Spaß. Das war die Arkady, die in den Rückfälligentrakt gestiefelt kam, um ihm zu beweisen, dass er nicht unsterblich war. Die Arkady, die das Schlimmste in ihm zum Vorschein brachte. Bevor er sich eines Besseren besinnen konnte, sagte er: »Deine alte Jugendliebe – dieser Kerl, der plötzlich rein zufällig unsterblich wurde – könnte durchaus versuchen, den Kristall in die Finger zu kriegen. Und ich bin nicht überzeugt, dass du mich nicht im Handumdrehen hintergehen würdest, wenn er dich darum bittet.«
Sie sah ihn seltsam an. »Sprichst du von Declan?«
Cayal nickte. »Wie viele andere Jugendlieben hast du noch, die neuerdings unsterblich sind?«
Arkady überhörte den Spott. Sie schien mehr an dem interessiert, was ihm über den Verbleib des einstigen Ersten Spions von Glaeba rausgerutscht war. »Declan ist hier? In Glaeba?«
»Ich hab keine Ahnung, wo er steckt«, erklärte Cayal durchaus ehrlich.
»Du lügst, Cayal.« Sie durchschaute ihn viel zu leicht, das war nicht gut. »Ist er hier?«
Cayal sah sich um. »Ich kann ihn nirgends entdecken.«
»Bildest du dir wirklich ein, irgendjemand findet dich witzig?«
Er seufzte. »Also schön, er war hier. Jedenfalls ist er mit mir und Kentravyon aus Jelidien angereist. Er hat uns sitzen lassen und ist abgehauen, als wir beschlossen, das Eis aufzusprengen. Ich hab ihn seit der Schlacht um Cycrane nicht mehr gesehen.« Er legte sich eine Hand aufs Herz und fügte hinzu: »Ich schwöre, das ist die Wahrheit, Arkady. Mögen die Gezeiten mich auf der Stelle zerschmettern, wenn ich lüge.«
Die Gezeiten taten natürlich nichts dergleichen. Trotz dieses eindeutigen Beweises seiner Aufrichtigkeit musterte Arkady ihn mit unverhohlenem Argwohn. »Warum ist Declan nach Glaeba zurückgekommen?«
Erstaunlich, dass sie da noch fragen musste. »Um dich zu suchen natürlich. Was sonst treibt diesen Spinner an?«
»Und dir kam es bis jetzt gar nicht in den Sinn, diese kleine Nebensächlichkeit zu erwähnen?«
Er zuckte die Achseln. »Ich hab dir nichts verheimlicht, Arkady. Du hast, na ja … du hast nicht danach gefragt.«
Es war typisch für Arkady, dass sie diese Bemerkung unkommentiert ließ. Sie beunruhigten die Stränge seiner restlichen Geschichte, an denen sie, wie ein Hund an einem Handtuch, herumknabberte, bis es sich aufribbelte. »Warum ist er abgehauen?«
»Pardon?«
»Du sagst, er hat euch sitzen lassen und ist abgehauen. Wieso? Warum macht er erst den weiten Weg mit euch und lässt euch dann sitzen?«
»Weiß ich nicht.«
»Doch, das weißt du«, sagte sie anklagend und verschränkte die Arme. Vermutlich spürte sie noch durch die Felle hindurch die klirrende Kälte des Windes. »Declan wollte nichts mit euren Machenschaften zu tun haben, stimmt’s? Er war dagegen, dass ihr das Eis spaltet und alle Crasii draufgehen lasst, nicht wahr?«
Dieser Frau entging nicht viel, verflucht noch mal. »Er fand den Plan nicht so gut,
Weitere Kostenlose Bücher