Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
nicht.«
»Wie ist es passiert?«
»Weiß ich nicht.«
»Du bist mir eine große Hilfe, Jojo, weißt du das?«
Jojo antwortete nicht, sondern ging unbeirrt auf die Treppe zu, die ins Untergeschoss führte. Um diese Zeit waren die Hallen des Palastes still und in nächtliche Dunkelheit gehüllt. Zumindest war es so dunkel, wie es in einem aus poliertem Eis errichteten Palast nur werden konnte. Das Licht der Laterne brach sich an den Wänden in einem Sprühregen von Regenbogengefunkel, das als Beleuchtung so hübsch wie nutzlos war, da es kaum ihren Weg erhellte. Tiji eilte hinter Jojo her und wünschte sich jetzt, ihre letzten Worte zu Azquil wären nicht im Streit gefallen.
Sie gingen die Treppen hinunter, und jedes Mal, wenn sie um eine Ecke kamen, erwartete Tiji, auf Azquil zu stoßen, aber er war nirgends zu sehen. Tatsächlich waren sie bald am Ende der Treppe angelangt, die zum Geschoss mit den Lagerkellern führte, und gingen weiter über den langen Korridor zu Lukys’ unterirdischer Kammer.
»Jojo, wo ist Azquil?«
»Wir sind gleich da«, versicherte ihr die Felide. Im nächsten Augenblick drang Tiji ein fauliger Geruch in die Nase. Bevor sie reagieren konnte, bogen sie um eine weitere Ecke, und da stand Lukys im Korridor und wartete schon auf sie. Gerade als Tiji aufging, dass man sie ausgetrickst hatte, drang ihr eine weitere faulige Duftnote in die Nase. Sie wirbelte herum und entdeckte Taryx, der sich von hinten an sie heranschlich.
»Du kannst jetzt gehen«, sagte Lukys zu Jojo.
Die Felide verbeugte sich. »Ich atme nur, um Euch zu dienen, mein Gebieter.«
Verdammtes verräterisches Katzenvieh.
»Geh, und erzähle niemandem davon«, befahl Lukys der Crasii. »Wenn du nach dieser Echse gefragt wirst, sagst du, dass du gesehen hast, wie sie in der Nacht den Palast verließ, und dass du nicht weißt, wohin sie gegangen ist.« Wieder verbeugte sich die Felide, und als Jojo hinter ihnen in der Dunkelheit der Halle verschwunden war, wandte Lukys seine Aufmerksamkeit Tiji zu.
Tijis Haut flimmerte wild, sie sah gehetzt hin und her und versuchte, Lukys und Taryx gleichzeitig im Blick zu behalten. »Ich werde schreien!«
»Das kannst du gerne tun, wenn du dich dadurch besser fühlst«, sagte Lukys.
»Was habt Ihr mit mir vor? Wollt Ihr mich umbringen?«
»Wahrscheinlich«, sagte Lukys in einem beklemmend sachlichen Ton. »Aber aus Gründen, die viel zu kompliziert sind, um sie dir jetzt darzulegen – und die sowieso über dein Verständnis gehen –, brauche ich dich kleine Ark vorerst lebendig.«
Das waren gute Neuigkeiten, nahm Tiji an, aber es erklärte noch nicht, warum er zu dieser aufwendigen List gegriffen hatte, um sie hier herunter in die Eingeweide des Palastes zu locken. »Warum?«
»Habe ich nicht eben gesagt, dass ich es nicht erkläre?« Er drehte sich nach links, und da bemerkte Tiji eine Höhle, die hinter ihm in die Wand gemeißelt war. »Das wird für die nächste Zeit dein neues Zuhause. Du bleibst hier, bis ich dich brauche. Oder bis ich definitiv keine Verwendung mehr für dich habe. Im letzteren Fall wirst du das Schicksal deiner Freunde teilen, sobald wir Amyrantha verlassen haben.«
Tiji spähte in die Eishöhle. Soweit sie sehen konnte, war sie recht geräumig und zum Gang hin vollständig offen. Sie lächelte. Gezeiten, denken die, ich bleibe hier unten brav sitzen, nur weil sie es mir befehlen?
Ach, die Arroganz der Unsterblichen. Bilden sich ein, alle tun, was sie wollen, selbst eine Ark.
»Ich atme nur, um Euch zu dienen«, sagte sie, ihre Stimme triefend vor Sarkasmus. Sie trat in die Höhle, drehte sich um und lächelte den Gezeitenfürsten an. »Dann warte ich einfach hier, bis Ihr wiederkommt, was?«
»So hatte ich mir das vorgestellt«, sagte Lukys und lächelte unverwandt. »Taryx, bist du so weit?«
Trotzig hielt Tiji dem Blick des Gezeitenfürsten stand und wartete darauf, dass er wegging, damit sie abhauen konnte. Und Gezeiten noch mal, abhauen würde sie aus diesem verdammten Palast, auch wenn er am sprichwörtlichen Ende der Welt lag. Draußen in einem Schneesturm umzukommen, während sie tapfer um ihre Freiheit kämpfte, war entschieden besser, als nur einen Augenblick länger als nötig bei diesen Monstern zu bleiben.
Azquil konnte mitkommen oder es bleiben lassen. Das kümmerte sie jetzt auch nicht mehr.
Lukys starrte sie immer noch an, sein Lächeln unverwandt, aber nun verschwamm es ein wenig an den Rändern. Erst da merkte Tiji, dass die
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